Wilhelm Räuber an Ernst Haeckel, München, 19. Oktober 1914

W Räuber

München d. 19. Okt. 1914

Linprunstr. 66

Hochverehrter Herr Professor

Zu Ihrem Vorschlag, das in Jena sich befindende Bild Hodlers zu verkaufen, werden Ihnen gewiß schona von vielen Seiten zustimmende Worte entgegengebracht worden sein, dennoch nehme ich mir die Freiheit es auszusprechen, wie dieser Vorschlag wohl die ungeteilte Zustimmung so vieler, gerade älterer Künstler in Deutschland finden wird, denn der „Kunst“ Hodlers stehen solche sehr ablehnend gegenüber, und finden es schwer begreiflich, daß dessen Werke solche Anerkennung gefunden haben; und kann man nur sagen, daß da || neben der Moderichtung auch wohl wieder der alte Nationalfehler der Deutschen mitgewirkt haben mag, eben gerade das von Nichtdeutschen Geleistete mehr zu bevorzugen als von Deutschen. In dem Schlagwort vonb der „modernen Kunst“ liegt ja der Begriff der Mode darin, u. ist es ja als ob ein Teil der Menschheit sich an dem Schönen und künstlerisch „Vollendeten“ und „Gekonnten“ (wie ein Beispiel etwa Menzel giebt) – sich übernommen hätte und nun bei Hodler und seinen Nachfolgern das bisher als abstoßend, ekelhaft und dabei oft stümperhaft Geschaffene bevorzuge, u. solches Unzulänglich-Brutale wird als naiv-kraftvoll gepriesen! – Viele stehen deshalb der bei || Hodler bezeichneten Monumentalität verständnißlos gegenüber, können c sich dabei mit seinen Mangelhaftigkeiten nicht abfinden, die denn doch auch selbst auf dem Bilde in Jena zu Tage treten, denn die Figuren sind nach Art von „Abziehbildeln“ auf hellen Grund gestellt, das ganze hier angewandte Arrangement, oder died Anordnung der Figuren erinnert an der Aufbau der „Neuruppiner, früherene Bilderbögen“, von einer „Composition“ kann man ja da nicht reden; diese würde ja auch von den „Modernen“ als „akademisch“ verworfen werden! – Es ist aber bei den Figuren selbst so manches höchst mangelhaft, so die Schemen der marschierenden || Soldaten oben, ihre Hände, ihre Gewehre, oder das große Pferd rechts, das mit seinem steifen, unmöglich verlängerten Leib u. ditof Beinen an ein Spielwarenfabrikat erinnert.

Es hätten sich doch wohl gewiß auch tüchtige deutsche Künstler gefunden, die diesen Vorgang hervorragend gelöst hätten, wie z.B. Artur Kampf oder Robert Haug.

Mit ausgezeichneter Hochachtung.

Prof. Wilh. Räuber

Symptomatisch für unsere Zeit ist ja auch der Kampf Prof. Wilhelm Bode’s gegen die Geschmacksverirrungen der jüngeren Direktoren.

a eingef.: schon; b eingef.: von; c irrtüml. eingef.: u.; d eingef.: die; e eingef.: früheren; f eingef.: dito

Brief Metadaten

ID
40495
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
19.10.1914
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,6 x 21,7 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 40495
Abbildungen
Pferdekopf, an der Trense geführt (nach Zeichnung) als Briefkopf
Zitiervorlage
Räuber, Wilhelm an Haeckel, Ernst; München; 19.10.1914; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_40495