Allmers, Hermann

Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Rechtenfleth, 10. Juli 1896

Rechtenfleth d. 10 Juli 96

Herzliebster Herzensfreund

Was Du von mir denken magst und mußt, daran mag ich kaum rühren. Und doch bin ich besser als ich Dir erscheinen werde. Meine Briefe aber müssen so inhaltslos sein, daß esa wahrlich Sünde ist, Dir dadurch Deine kostbare Zeit zu rauben, denn sie können Nichts Anderes melden als höchstens allerlei Gedanken von denen die meisten noch dazu so außer Deiner Sphäre liegen, daß sie Dich beim Lesen nur langweilen müssen. Und geschaffen || ist leider erst vollends Nichts, was der Rede werth; gereist garnicht; erlebt fast nur Widerwärtiges und Niederdrückendes. Dazu schon 75 Jahr! Wie traurig mich das macht, nach einem solchen Leben. – Nur von zwei Dichtungen kann ich Dir sagen, deren Empfangen mir aber aufrichtige Freude macht, da Keiner in ihnen ein fünf und siebenzigjähriges

Herz b merken wird. Das eine heißt: „Altgermanisch Weihnachtsfest“ und wird c gegenwärtig von Meister Max Bruch in Musik gesetzt, hoffentlich fertig d wenn die Zeit seines Stoffs da ist, denn der Anfang lautet:

„Hört wies schon braust und johlt und kracht,

Hoch in den Wolken Nacht für Nacht. ‒

Es kündet Wodans wildes Heer

Des holden Lichtes Wiederkehr! ||

Nun naht des Jahrs hochheilge Zeit,

Nun rüstet Euch, nun seid bereit.“ usw.

Das andere Gedicht, mein letztes wohle, nenne ich „Ein Wandergedicht“, es wird vielleicht noch mehr in Deinem Sinne sein. Man rühmt namentlich die Malerei und den Wohlklang desselben. Deshalb sollst Du es auch nur von mir selbst hören, sonst könnt ichs Dir auch ja leicht aufschreiben, da es durchaus nicht lang.

Aber gerade erst gestern schreibt mir Hans aus seinem prähistorischen Museum im alten Lüneburg die überraschende Jubelkunde: Du hättest diesmal wirklich vor Deine f Ferienfahrten sogar bis ‒ Rechtenfleth auszudehnen!!! Noch wag ichs kaum zu glauben! Sollte es jedoch wahr sein, so bitte ich Dich dringend ja recht bald und möglichst genau darüber g mich in Kenntniß zu setzen, || damit ich ja zu Hause sei und alles Störende vom Leibe halte, sorglich, wie’s irgend möglich ist. Mirh muß an solch seltnem und hohem Herzensfest auch keine Minute entweiht werden. Kommst Du mit oder ohne? Womit ich natürlich nur Walter meine, der dann wie es ja bereits schon vor 2 Jahren geplant wurde auch Worpswede mit seiner, so schnell berühmt gewordnen Malercolonie besuchen muß. Vielleicht steckt in ihm noch völlig ihm unbewußt der größte Moorschilderer. Aber rasch,

rasch, so lange noch Moorbilder Mode sind. Vielleicht schon im nächsten Jahr kanns heißen: „Das Moor hat seine Schuldigkeit gethan, das Moor kann gehn.“ ‒ Da ich keinen tiefern kunsthistorischen Gedanken habe schließe ich meine Zeilen mit diesem. Grüße ihn und Deine andern Lieben so herzlich wie möglich.

Auf baldig frohes Wiedersehn

Dein treuer Allmers

a gestr.: sie; eingef.: es; b gestr.: er; c gestr.: ho; d gestr.: zu; e eingef.: wohl; f gestr.: diesj; g gestr.: zu sch; h gestr.: Was; eingef.: Uns

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
10.07.1896
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 8725
ID
8725