Jena 1 Febr 72
Liebste Mutter!
Mein akademisches Schicksal ist nun wieder einmal auf einige Zeit hin entschieden. Ich habe mich entschlossen, in Jena zu bleiben und habe die Berufung nach Straßburg dankend abgelehnt. Die Beweggründe werde ich Dir noch mündlich auseinandersetzen; schriftlich ist das zu complicirt. Denke nun nicht, daß ich um jeden Preis mein ganzes Leben in Jena bleiben will. Durchaus nicht! Im Gegentheil werde ich in einigen Jahren sehr gern mein liebes Jena mit einer größeren Universität vertauschen, obwohl es mir immer schwer werden wird, mein Institut, an dessen Einrichtung zehn meiner besten Lebensjahre hängen, mit allen seinen Einrichtungen etc aufzugeben. ||
Gegen Straßburg speciell sprachen aber zu viel Gründe! Ich würde ein paar Jahre bloß mit lauter Einrichtungen zu thun gehabt haben und dabei gar nicht haben arbeiten können. Alles ist ja erst neu zu schaffen! Überhaupt sind die ganzen Verhältnisse so unsicher, daß sich Professoren, die überhaupt mit ihrer Stellung zufrieden sind, schwer entschließen werden, diese dagegen einzutauschen. Hätte außerdem Herr v. Roggenbach den guten Gedanken gehabt, mich 4 Wochen später, mit Gegenbaur zusammen zu berufen, wären wir doch vielleicht (aber nicht wahrscheinlich!) beide zusammen hingegangen. ||
Meine hiesige Stellung ist in Folge der Ablehnung um einige hundert Thaler Gehaltszulage verbessert worden. Du findest dies sonderbar, liebe Mutter? Aber das ist ja der einzige und immer wiederkehrende Weg, unsere dünnen Professoren-Gehälter zu erhöhen, und hier findet Jedermann, auch Gegenbaur etc, diese Gehalts-Verbesserung nicht nur ganz natürlich, sondern nothwendig. Ich schicke Dir beifolgend die heutige Nummer unseres Regierungs-Blatts, worin das Staats-Ministerium officiell seine Befriedigung über mein Hierbleiben kund giebt. Schick es nebst diesem Briefe an Carl. Er soll mir die Notiz „ad acta“ zurückschicken.
[Briefschluss fehlt]