Berlin 11 Oct 74
Mein geliebtes Röschen!
Seit ich vorgestern unser liebes Nest verlassen, sind meine Gedanken beständig bei Dir und bei unseren lieben Kindern gewesen. Ich merke recht, was für ein alter Hausvater ich geworden bin. Ich kann nicht entfernt mehr so frei reisen, wie früher; die Gedanken bleiben zu sehr zu Hause. Außerdem werde ich, – durch Anpassung an mein süßes Weibchen – immer blasirter! Nichts ist mir „großartig“ genug!! Das muß Dich doch freuen, nicht wahr? ||
Ganz besonders habe ich natürlich in diesen Tagen an unsern lieben süßen Walter gedacht, der grade am Freitag (!!) als ich abreiste, zum ersten Male in die Schule ging. Ich bin sehr neugierig, wie es ihm gegangen ist und hoffe, recht bald von Dir über den guten Ausfall dieses ersten Anfanges zu hören. Bitte Dich nur dringend, liebes Röschen, den Versuch consequent durchzuführen, und nicht etwa gleich wieder aufzuhören, wenn es in den ersten Tagen nicht gehen will! ||
Mir ist es ganz gut ergangen. Um 10 ½ Uhr aus Jena abgefahren, war ich um 2 Uhr bereits in Leipzig. Ich ging zuerst 1 Stunde in das städtische Museum, wo sehr schöne neuere Landschaftsbilder sind; dann zu Engelmann, der mir schmunzelnd erzählte, daß von der ersten Auflage der „Anthropogenie“ jetzt schon (14 Tage nach dem Erscheinen!) Kein Exemplar mehr zu haben sei, daß die zweite Aufl. in 14 Tagen erscheine, und daß er mich bitte, baldigst an die Vorbereitungen zur dritten Aufl. zu gehen!! ||
Freitag Abend amüsirte ich mich gut in Broekmanns Affentheater (bei ausgezeichnet dressierten Affen, Pavianen, Hunden, Ziegenböcken und Ponis!) Es that mir sehr leid, daß Du und die Kinder den Spaß nicht mit ansehen konntet.
– Gestern (Sonnabenda) Morgen 9 Uhr fuhr ich aus Leipzig und war um 1 Uhr hier; wurde von Tante Bertha freundlichst aufgenommen. Heute kommen die Potsdamer herüber. Ich werde Mittwoch, spätestens Donnerstag nach Potsdam gehen und dort 6-8 Tage bleiben.
Inzwischen hast Du recht schöne Ruhe!!
Innigsten Gruß Dir und unsern Lieben!
Wälterchen soll recht artig und brav in der Schule sein!!
Schreibe mir recht bald!
Dein treuer Ernst.
a korr. aus: Morgen;