Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Wilhelmine Hintze, Jena, 21. Juli 1911

Jena 21 Juli 1911.

Liebe Freundin!

Für das schöne Bild von Ihnen, das Sie mir übersandten, sage ich Ihnen meinen herzlichen Dank! – nicht minder für den tapferen und energischen „Offenen Brief“, den Sie am 3. Juli Ihrem frommen Herrn Pastor Lüder in Grossborstel übersandten, und in dem Sie so unerschrocken mich verteidigen. Hat der rechtgläubige Seelenhirt darauf Etwas geantwortet? –

Vor einigen Tagen besuchte mich Herr Dr. med. Max von der Porten aus Hamburg; er konnte sich persönlich von meinem, leider noch sehr unbefriedigenden Gesundheits-Zustand überzeugen, der mir noch Monatelang keine freie Ortsbewegung gestatten wird. ||

Meine Genesung schreitet leider sehr langsam vorwärts; 3 Monate sind schon [seit] dem bösen Unfall verflossen und ich kann immer noch nicht ohne Krücken gehen – und nur mit Schmerzen! Daher habe ich heute der Ortsgruppe Hamburg des Deutschen Monistenbundes zu meinem tiefsten Bedauern mitteilen müssen, daß ich auf die Teilnahme am Monisten-Kongress im September verzichten muß. Mindestens den ganzen August werde ich noch hier bleiben müssen. Sollte ich im September reisefähig sein, so würde ich wohl eine Bade-Kur (Baden? Wiesbaden?) versuchen müssen? – Seit 8 Tagen kann ich einmal täglich (Mittags) die Treppe hinab hinken und mich ein wenig im Garten bewegen. ||

Nachmittags liege ich 2–3 Stunden auf meinem Balkon, in Gartenluft, und erfreue mich des Schutzes der schönen grünen Decke, die Sie für mich gehäkelt haben! So geht der ganze schöne Sommer dahin, ohne daß ich einen einzigen Spaziergang habe machen können. Leider ist auch meine Arbeitskraft gelähmt; anhaltendes Schreiben ermüdet mich sehr.

Besuche erhalte ich viel, besonders von „Welträtsel-Lesern“ aus Inland und Ausland. Auch Frl. Holgers besucht mich öfters und unterhält mich ein Stündchen durch Vorlesen. Frau von Crompton will mich nächste Woche besuchen. Dr. Heinrich Schmidt hält mich im Laufenden über die Philosophische Literatur. Hoffentlich geht es Ihnen gut!

Mit besten Grüßen treulichst

Ihr alter Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
21.07.1911
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Wellingsbüttel
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 31694
ID
31694