Marie Luise Nebuschka an Ernst Haeckel, Dresden, 14. Februar 1919
Dresden-Klotzsche
Bahnhofstr. 8.
14.2.19.
Und durch den Winter noch
So sehr mit trotzigen Geberden,
und bringt er Schnee u. Eis daher
es muß doch Frühling werden.
Da wacht die Erde blühend auf
Weiß nicht, wie ihr gescheh’n,
und lacht in den sonnigen Himmel hinauf
und möchte vor Lust vergeh’n.
Hochverehrte, teuerste Exzellenz!
Dies kleine süße Gedicht geht mir heut immer durch den Kopf, weils auch grad so draußen ist u. in meinem Innern. Und vor allem, weil ich von ganzen Herzen wünsche, daß es Ihnen, verehrte Exzellenz recht, recht gut gehen möchte u. Sie frohen Herzens dem kommenden Frühling entgegenschauen. ||
Zu Ihrem Geburtstag wünsche ich Ihnen alles Gute u. Schöne u. vor allem Gesundheit u. frohen Mut.
Möchten Sie den Tag recht glücklich verleben in Gedanken an all das Schöne, was war u. in Ihnen lebt u. in uns allen, die wir Sie verehren u. lieben, weiter leben wird u. Dank Ihrer reichen Gaben noch viel Schönes hervorbringen.
Wie viel andere möchte ich meine Glückwünsche gern persönlich bringen dürfen, aber da es halt nicht kann sein trage ich der strahlenden Sonne da draußen all meine schönsten Gedanken u. Wünsche für Sie auf. Möchte sie an Ihrem Geburtstag auch so herrlich u. frühlingswarm scheinen u. pünktlich alles so überbringen, wie ich es mir ausgedacht mit meinen ergebensten dankbarsten Handküssen für Sie, teure Exzellenz.
Meine kleine Gabe macht Ihnen hoffentlich Freude u. haben Exzellenz sicher Verwendung dafür in einer Ihrer schönen Bildermappen. ||
Und da ich nun endlich wieder einmal an Exzellenz schreiben darf, gestatten Sie mir bitte ein wenig zu plaudern.
Das Herz ist ja zum Überlaufen voll und wem könnte ich das alles besser sagen als Ihnen, der mit der ganzen Gewalt so großen Geistes so tief auf mich gewirkt, erweckend u. erkennend.
Es war sicher kein Zufall, der mir vor Jahren die Welträtsel in die Hände spielte, das empfinde ich täglich mehr, je mehr es mich ergreift, je tiefer ich darin Wurzel fasse, wenn ich mich als Laie so ausdrücken darf.
Zwar entferne ich mich vom allgemeinen u. alltäglichen mehr, aber ich glaube nicht, daß das, besonders jetzt, ein Fehler ist.
Meine neuesten Erfahrungen hier am Albert-Theater sagen mir das Gegenteil. Ihnen, hochverehrte Exzellenz das Leben u. Treiben u. die Ziele dort näher zu beschreiben, würde ich nie wagen. Es ist zu viel Hässliches dabei. ||
Sie werden mich verstehen, wenn ich Ihnen sage, daß es für mich, seit ich mit offenen Augen in die Welt schaue, eine Unmöglichkeit geworden ist, dort Lebenszweck u. Ziel zu finden. Nicht zu sprechen davon, wie vergebens man gerade dort Kunst u. höhere Menschen sucht, alles verflacht.
Ich habe erst sehr darunter gelitten, da es wie mit Keulen auf mich einschlug, weil ich doch aus der Einsamkeit dahin zurückkehrte. Jetzt entferne ich mich so gut es geht davon u. suche mich ganz u. gar auszuschalten, wenn ich zu tun habe. Oder ich mache mir einen Witz daraus, wenn die Aufgaben gar zu kitschick [!] sind, was ja jetzt schon durch das Publikum kolossal überhand nimmt.
Kunst, die große Schöne hat heute wohl nicht mehr viel mit diesem „Beruf“ zu tun.
Ich wünsche mich dann sehnlich in Goethes Zeiten zurück, damals war noch so viel Begeisterung die heut gänzlich fehlt. ||
Es war dieser letzte Versuch in meinem Beruf weiter zu wirken nur neue Enttäuschung u. doch ein Schritt weiter, also nichts zu bereuen.
Vielleicht ist es mir vergönnt über all dieses u. über anderes, schöneres mit Exzellenz persönlich zu sprechen.
Wie sehr ich gerade jetzt an die glücklichen Stunden in Jena denke, brauche ich wohl kaum zu sagen.
Das feste Bewustsein [!], daß es doch noch schöne, große, gute u. starke Menschen, überhaupt Menschen gibt, macht mich dann so glücklich u. doch sage ich mir, warum soll ich nicht mit ihnen leben. Ich habe das Vertrauen zu mir, daß ich solch einem Menschen viel sein könnte, auch praktisch.
Ich bin nun einmal in diese Bahn hineingekommen, auf der ich einzig u. allein hohes Menschenglück im Verein mit der Natur sehe.
Und wo eine Frau einem hochstrebenden Geist so viel sein kann, sei es auch oft nur || durch entfernen störender Kleinlichkeiten, die auf eine sensible Natur oft so grausam wirken.
Hoffentlich habe ich Glück u. findet sich unter den vielen großen Freunden u. Bekannten von Schülern von Exzellenz einer, dem mich Exzellenz empfehlen zu können, ohne daß es Exzellenz Mühe macht, was mir sehr peinlich wäre.
Ich wäre ja so glücklich, das Gewünschte aus Ihrer Hand zu empfangen. Exzellenz kennen mich ja doch ein wenig um mir eine solche Stelle zuzutrauen.
Versuche ich es durch die Zeitung, ist es doch nie das, was ich suche u. wäre bestimmt nichts für mich.
Weiß ich auch durch Sie, verehrte Exzellenz, wohin ich komme, so gehe ich mit viel mehr Hoffnung u. Mut dieser Lebensstellung entgegen. Und dann bedeutet es doch alles für mich, durch Exzellenz empfohlen zu sein. ||
Hoffentlich sind mir Exzellenz nicht bös, daß ich eine Bitte auszusprechen wage, aber da ich doch hier vor einem Lebensabschnitt stehe, konnt ich das nur einzig u. allein Ihnen anvertrauen, der mein größtes Erlebnis ist ohne eine Enttäuschung. Wie sollte ich daran nicht festhalten! –
Vielleicht können Exzellenz auch einen Ihrer Schüler damit beauftragen; denn ich möchte nicht, daß es Ihnen Ihre kostbare Zeit raubt. Vielleicht weiß Herr Professor Bölsche einen Rat, er wohnt doch auch in einer so entzückenden Gegend. – – – –
Die Wirkung Ihrer großen Persönlichkeit auf mein ganzes Inneres sitzt eben fest u. ist nicht herauszureisen [!]. Warum sollte ich auch. Ich ahne u. fühle darin so viel Helles u. Schönes, worin ich es erfassen kann, daß ich auf meinem Weg weitergehen möchte um später vielleicht auch, wenn auch nur im kleinen, Gutes zu wirken. ||
Vielleicht finde ich dadurch, daß ich mich endlich Ihnen gegenüber aussprach auf einem großen Gut oder sonst schöner Gegend eine ausgedehnte Tätigkeit, es wäre eine große Freude für mich.
Es ist halt die ganz natürliche Sehnsucht einer Frau nach einem Wirkungskreis und gleichgesinnten Seelen, heraus aus allen Wirrnissen zur Natur.
Der feste Entschluss da leben u. wirken zu wollen, wo so viel Schönes u. Großes lockt, für dieses kurze Erdendasein.
Ich konnte das alles niemand anders sagen als Ihnen, verehrte Exzellenz, und bitte nochmals um Verzeihung, wenn ich Ihnen lästig falle.
Ich bin so froh, daß ichs nun herunter vom Herzen habe, daß mir bedeutend leichter ist u. ich hoffen darf auch ein Plätzchen auf dieser Welt zu finden. ||
Meine kleine Schwester befindet sich jetzt in demselben Engagement, wo ich vor 8 Jahren anfing. Und ich muß nun natürlich oft daran zurückdenken, wie sorglos u. fidel ich da in den Tag hineingelebt, ohne einen einzigen Gedanken an Zukunft oder, was einmal werden sollte.
Die vielen Sorgen u. Enttäuschungen nehmen mir doch die Jugendkraft u. den göttlichen Leichtsinn dazu mit dem wir die ganze Welt zu erstürmen glauben bis wir am Boden liegen.
Da wieder aufzustehen u. doch wieder jung u. froh zu werden, nur bewuster [!], haben Sie mich gelehrt, hochverehrte Exzellenz u. ich kann Ihnen nicht genug dafür danken.
Verzeihen Sie bitte meinen langen Redefluß, aber in der Einsamkeit verlernt man das Schweigen, besonders wenn man nach Langem wieder zu Ihnen sprechen darf. ||
Ich kann Ihnen garnicht beschreiben wie sehr ich Sehnsucht habe endlich zu strömen nach dem großen, weiten unendlich schönen Meer, daß ich doch finden muß, da ich die Kraft in mir fühle wenigstens ein stiller Bach zu sein, der sich in einen Strom ergießen möchte In [!] Ihren Strom der Liebe u. fortgerissen mit weiter wandern ins Licht, zur Sonne. – –
– – – Nochmals meine allerergebensten u. herzlichsten Glückwünsche zu Ihrem Geburtstag. Möchten Sie gesund u. froh diesem neuen Jahr entgegengehen u. noch viel, viel Freude haben.
Unendlich würde es mich erfreuen, bald von Exzellenz zu hören, daß es Ihnen so gut geht wie ich es von Herzen wünsche.
Mit aller Hochachtung
bin ich Ihre ganz ergebene, stets dankbare
Marieluise Nebuschka.