Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Rechtenfleth, 1. Dezember 1891

Rechtenfleth

d. I Dbr 9I.

Herzliebster alter Freund und hesperischer Wandergenoß.

Mit herzlicher, obwohl nicht ganz ungetrübter Freude empfing ich Eure mich so hold überraschende Hochzeitsladung, die mir fast den Schlaf raubte durch freudige Erregung und peinliche Unschlüssigkeit. ‒

Zuerst denn aus tiefinnerstem Herzen Dank und aber Dank für das neue Zeichen Deiner Freundschaft, jedoch muß ich leider noch ein Aber hinzufügen, nämlich: daß Ihrs mir nicht übel nehmen mögt, wenn ich Euren mich so hoch ehrenden Wunsch a mich bei jenem schönen || Freudenfeste in Eurer Mitte zu sehen leider unerfüllt lassen muß.

Ja mein Junge, sei mir nicht böse wenn ich wieder ablehne, wie ich nun schon Jahre hindurch jede Einladung zu derartigen Festen, vor Allem zu Hochzeiten ablehne und stünden mir deren Geber und Halter noch so nahe durch Bluts- oder Herzensverwandtschaft und zwar aus einem Grunde dessen Gründlichkeit Deinem Blicke genugsam einleuchten wird: Ich tauge

einmal nicht mehr für solche Feste. Das ist die ganze Sache! Mein Ohrenleiden, das namentlich im Winter doppelt schlimm ist, macht mich dafür nicht nur unfähig sondern geradezu unausstehlich, denn nicht einmal mit meiner Tischdame vermag ich mich zu unterhalten sondern sitze mitten in der lauten Festfreude so dumm und so stumm da wie ein altes || dickes Buddhabild, b zu eigner wie zu Andrer Ungemütlichkeit. Und Du weißt nicht was für Stunden das dann sind, peinvoll zum ‒ Davonlaufen, wie ichs zuletzt noch in Hannover erlebte bei der Hochzeit einer mir sehr lieben Nichte. ‒

Wie gern ich sonst einmal dort wär und vor Allem gern den künftigen famosen Gatten (Meyer Kilimandcharowsky würden ihn die Russen nennen) Deiner lieben herrlichen und ebenso famosen Lisbeth kennen lernen möchte, kann ich Dir gar nicht sagen. Im Juli wollte ich ja schon von Berlin zu Dir c ward aber durch ernste Vorstellung Deines lieben Bruders davon zurückgehalten, denn er wußte: daß ich bei der steten Unpäßlichkeit Deiner lieben Frau und Deiner eignen d anthropogenetischen Versunkenheit, so ungelegen wie möglich kommen würde. ||

Mir gehts so gut sonst, wie ichs nur wünschen kann und erfreue auch ich mich e des angenehmen Gefühls eins meiner Herzenskinder eben zu einem neuen Gang in die Welt vorbereitet zu haben, mein Marschenbuch nämlich, das in diesen Tagen, versehn mit dem Wahlspruch:

Wer seine Heimat nicht liebt und nicht ehrt,

Der ist des Glücks in der Heimath nicht werth.

ins Publikum geht. ‒

Und so lebt wohl Ihr Lieben und der bedeutsame Tag der Sonnenwende f an dem ich mit tiefster und ganzer Seele bei Dir sein werde, erschließe Euch Allen eine heilige Quelle der köstlichsten und reinsten Freuden bis in die fernste Zeit Eures Daseins; Du aber bleibe was Du bist

Deinem treuen

Hermann Allmers ||

Vertrauliche Nachschrift.

Daß g am 20ten December und in einer h gottbegnadeten Musenstadt wie Jena auf die Villa Medusa ein schreckliches und i schweres Hagelwetter von Festgedichten nieder gehen wird darf Falb auf meine Verantwortung mit Sicherheit voraussagen und hätte vor wenigen Jahren ebenfalls sicher prophezeihen dürfen, daß ein ganz famoses und die berühmte „Weihe“ noch

weit überragendes Carmen vom bekannten Marschendichter und Doctor poesiae mit dabei sein würde. ‒ Warum hat die so kluge Lisbeth sich auch nicht j ein paar Jahre früher verlobt. Hei, k mit welcher Wonne hätte ich den Pegasus bestiegen und zum Festritt spornen wollen daß er selbst vor dem (Namen) Kilimanscharo nicht zurück geprellt wäre aber nun? ||

Aus ist mein Dichten, ich bekenns mit Trauern!

Begeisterung, wohin bist du entschwunden!

Jetzt glückts mir höchstens noch in guten Stunden

Mit Müh’ und Noth ein klein Sonett zu mauern.

Da hilft nun weder Fluchen noch Bedauern,

Fast hab ich auch den Unmuth überwunden.

Mein steifer Pegasus könnt noch gesunden

Und traben, meinst du? Lange kannste lauern!

Zwar ist er ja acht Zeilen fortgestolpert

Und kommt, wer weiß mit mir sogar zum Ziele

Und wenns auch etwas hapert, etwas holpert

Und es dem Alten etwas sauer fiele.

Eins ist gewiß: wie oft in frühern Zeiten,

Werd ich mir künftig keinen Wolf mehr reiten.

Dr. poes. H. Allmers

Schlenderer von Rom

Zauberer von Rechtenfleth.

a gestr.: leide; b gestr.: da; c gestr.: ab, d gestr.: An; e gestr.: daran; f gestr.: erschließe; g gestr.: Hoch; h gestr.: Mu; i gestr.: he, j gestr.: um; k gestr.: er

Brief Metadaten

ID
8709
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
01.12.1891
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
6
Umfang Blätter
3
Format
13,5 x 20,8 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 8709
Zitiervorlage
Allmers, Hermann an Haeckel, Ernst; Rechtenfleth (Weser); 01.12.1891; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_8709