Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Rechtenfleth, 10. November 1890
Rechtenfleth.
10/11 90
Herzlieber Kerl.
So sehr mich Dein Absagen zur Bremer Naturforscher Versammlung zu kommen verstimmte und auch mir die Lust dazu benahm, so sehr erfreute mich Alles und Jedes in Deiner gedruckten Sendung und obenan natürlich die Kunde von den hohen und wohlverdienten Ehren die Dir in Amsterdam zu Theil wurden. Was frägst Du da nach Bremen! obwohl Du sicherlich auch dort wahrhaft wohlthuende Eindrücke empfangen haben würdest und a namentlich ein Vortrag von Dir, zub dem wir uns ein volles Jahr hindurch gefreut hatten, mit Begeisterung begrüßt und belohnt worden wäre! ||
Mir war natürlich vor Allem darum zu thun, Dich bei dieser Gelegenheit auf ein paar herzerquickendec Tage nach Rechtenfleth zu bekommen was mich hoch beglückt hätte und um so mehr da ja Dein erster und einziger Besuch bei mir so schmählich durch Dein Unwohlsein jedes Genusses beraubt wurde. Diesmal solltest Du es überhaupt anders in meinem lieben kunstgeschmückten Daheim gefunden haben. Zwei liebenswürdige Nichten hätten es Dir wöhnlicher gemacht als Du es einst hattest und zwei famose Wahlneffen die beiden jungen talentvollen Historienmaler Erwin Küsthardt aus Hildesheim und Hugo Händler aus Berlin (ein Lieblingsschüler Knilles) die den Wandschmuck meines Marschensaals weiter führten würden durch ihr köstliches Gemüth und ihren prächtigen Humor d so wie namentlich durch ihre || Kunst Dir nicht geringe Freude gemacht haben. Noch einmal, im nächsten Jahre, kehren sie wieder ‒ e um ihr f schönes Werk zu vollenden, dann aber hat mein liebes altes Elternhaus einen Schmuck, meine Marschenheimatg ein Denkmal ihrer Geschichte und auch ich selber h hinterlasse mir ein solches so daß ich dasi nun bald zu Ende geführte Unternehmen als ein heiliges Herzenswerk betrachten darf. ‒ Die Grundidee des Ganzen liegt in den Worten: Durch Nacht zum Licht. Den von Dörnberg gemalten Fries aus der j heimatlichen Kulturgeschichte, der sich am obersten Theil der Wände rings herumzieht kennst Du ja bereits.
Unter diesem sprechen jene Idee vier Bilder aus der deutschen Sage aus, welche als personificirte k auf einem Hünenstein sitzende Uralte vom Kamin herabschaut. 1 Bild. Wodan mit seinem wilden Heere l in 12 heil. Nächten der Wintersonnenwende m am Himmel dahin jagend und dem Tag zum Siege verhelfend. Rechts und links vom Bilde || in Medaillonform Nacht und Tag. ‒
Diesem gegenüber Barbarossas Erwachen (von Fitger). Links und Rechts davon die Gestalten der Germania welche trauernd und gedemüthigt ihre Kaiserkrone niederlegt mit der dornenbekränzten Jahreszahl 1806 versehen und der Germania Victrix jubelnd die Krone emporhaltend mit der lorbeergeschmückten Zahl 1871 darunter. Dann an den kleineren Flächen der Thürwand Tannhäuser sich der Venus entwindend mit den Bildnissen der großen Bahnbrecher Gluck und Wagner und viertens Faust seinenn Pantheismus gegen Gretchen entwickelnd begleitet von Kants und Goethes Bild, und endlich auf den schmalsten Wänden ino noch kleinerem Format zwei Märchenbildchen (Aschenbrödel was Germania ja so lange sein mußte und Dornröschen.) Diese Beiden aber harren noch ihres Schöpfers. – Von der reichen und sinnvollen Decoration, die alle farbenleuchtenden Bilder in gedämpften Tönen verbindet wäre zu weitläufig hier zu berichten. ‒
Nun mein Junge, was sagst Du zu alle dem? Ich denke es ist zu schauen, wohl einmal einer Reise werth wenigstens von Bremen aus und wie ich schon jetzt glücklich bin so oft ich den Saal betrete oder gar lieben verständnißvollen Menschen zeigen kann, würde mein Glück unbeschreiblich sein wärst Du einmal unter diesen. ||
Wann jedoch wird mir die herrliche Stunde p schlagen? ‒ Unter denen die in diesem Sommer den Saal sahen war auch Einer Deines Berufs und zwar kein Anderer als unser Freund von Neapel her ‒ Professor Ehlers aus Göttingen, der von Helgoland kommend mir 1½ herzerfreuende Tage schenkte, nicht wenig überrascht von meinem lieben kunsterfüllten Hause, obwohl auch das seine sich in dieser Hinsicht sehen lassen darf, vor Allem seine Mappen welche einen kostbaren Schatz von Handzeichnungen, Radierungen und Stichen enthalten. In ihm hast Du einen begeisterten Verehrer und einen so treuen und lieben Kerl daß auch er wohl werth ist, würdest Du bei guter Gelegenheit einmal an seine sehr gastlich sich öffnende Thür klopfen.
Deine reizenden Reiseblätter aus Nordafrika, gegen welches mir der ganze übrige Welttheil gestohlen werden kann (Ja wundere Dich nur!) haben mir nicht nurq rechten Genuß bereitet sondern selbstr wieder meine Reue hervorgerufen, || unsre s einst in der wundersamen qualmerfüllten t und tropisch von Woodwardiengrün überschatteten Bergspalte am Epomeo plötzlich bei uns auftauchende Lust eine Atlasreise zusammen zu machen ‒ folgenlos vorüber gehen ließen. Weißt Du es noch?
Im nächsten Februar lege ich mein 70stes Jahr zurück und habe vor, um allem und jedem etwaigen Brimborium, Halloh und Hurrah meiner Freunde aus dem Wege zu gehn eine Incognitoreise zu machen, vielleicht zu meinem treuen ältesten Herzensfreunde Menke (dem historischen Kartographen.) und von dort dann vielleicht über Jena nach Berlin, das nun auch
durch Deinen mir so liebgewordenen Neffen Julius um einen Wahlneffen reicher ist. Er war ebenfalls im Sommeru auf einige Tage bei mir an die ich mit rechter Freude zurück denke. ‒
Genug denn für diesmal. Grüße mir aufs Herzlichste die lieben Deinen
und bleibe ferner was Du bist
Deinem vielgetreuen
H. Allmers.
a gestr.: na, b gestr.: auf; eingef.: zu; c gestr.: glückliche; eingef.: herzerquickende; d gestr.: Dir nicht; e gestr.: der; f gestr.: Wer; g eingef.: Marschen; g gestr.: ein solches; i gestr. nun; eingef.: das; j gestr.: Kulturge; k gestr.: Uralte; l gestr.: in der W; m gestr.: die; n gestr.: mit; eingef.: seinen; o gestr.: nur; eingef.: in; p gestr.: schlagen; q eingef.: nicht nur; r irrtüml. doppelt: selbst; s gestr.: ei; t gestr.: Berg; u gestr.: September; eingef.: Sommer