E. F. Barth an Ernst Haeckel, Lourenco Marques, 6. Juli 1904
S. O. box 363
Lourenço Marques, 6. Juli 1904
Herrn Prof. Dr. Ernst Häckel
Jena.
Hochgeehrter Herr Professor!
Der Grund, warum die Zunft der spekulativen Philosophen Ihren „Welträtseln“ noch gewissermaßen „ratlos“ gegenüber steht, liegt meines Erachtens darin, daß dieselben dem abstrakten Denken neue, nüchternere Bahnen weist. Die Außendinge sind wirklich; das Einzige, was für uns nicht wirklich ist; sind bloß die Dinge, deren Wirklichkeit uns nicht erscheint, weil unser Anschauungsvermögen dazu nicht ausreicht. Was für Eigenschaften man auch einem Baum z. B. außer den für mich wahrnehmbaren noch zuschreiben mag, – ich kann beweisen, daß er ein Ding ist, das wir mit dem Worte „Baum“ bezeichnen. Daß er noch etwas anderes sein „könnte“, das sind Vermutungen, die ich nur einem gewissen Denk-Dualismus, einer Sucht, gewissermaßen den lieben Gott oder sonst unfaßbares, dahinter ||
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zu finden, zuschreibe. Ein Baum ist eben ein Baum, das zu bezweifeln, heißt allerdings die Realität der ganzen Außenwelt anzuzweifeln, also auch meiner Wahrnehmungsorgane, und zwar in demselben Augenblick, wo ich darüber philosophiere, was eigentlich ein Baum sei! Angenommen, ich mache mir eine unrichtige Vorstellung des Dinges, das ich zufälligerweise „Baum“ nenne, so ist dadurch die Realität, das Vorhandensein desselben doch nicht abgeschafft. Unsere Ansicht von der Realität der Außenwelt wird sich mit der zunehmenden Entwicklung der Menschheit selbstverständlich auch verändern; aber etwas bleibt fest: Die Realität der Außenwelt steht und fällt mit dieser selbst; ob nun Lebewesen da sind, sie zu bezweifeln oder zu behaupten, das ficht das Universum wenig an.
Ich kann mir kein einziges dem Substanzgesetz unterworfenes Ding vorstellen, dessen Existenz nicht irgendwo im Universum möglich wäre. Daraus folgt, daß, wenn ich ein dem Substanzgesetz unterworfenes Ding mir nicht erst vorzustellen brauche, sondern es vor mir habe, es wirklich da ist, (wobei der Name, den ich ihm gebe, keine prinzipielle Bedeutung hat,) weil das Anschauungsvermögen, (auch die Phantasie,) das ||
III
aus Funktionen meines selbst dem Substanzgesetze unterworfenen Gehirnes besteht, es mir nicht erlaubt, etwas anderes als gemäß Substanzgesetz mögliches, und daher reelles, zu sehen.
Durchdrungen von dem ganz richtigen Gefühl, daß es nicht möglich sei, die Realität der ganzen Außenwelt zu erfassen, haben sich einige Gelehrte bemüssigt gefunden, uns armen Menschen die Fähigkeit, und zwar für alle Zeiten! abzusprechen, die Realität der Außenwelt, die wir mit unseren unvollkommenen Sinnen wahrnehmen, zu erfassen.
Es gibt keinen realern Begriff als das Wort „Raum“, weil dasselbe ganz von selbst auch den Begriff „Grenze“ suggerirt. Vielleicht gelingt es den Gelehrten, die ein paar Jahrtausende noch uns doziren, für das armselige Wort „unendlicher Raum“ etwas besseres zu finden. Ohne Zweifel wird man auch dann noch an der Realität der Außenwelt herumdiskutiren, ohne sich dessen bewußt zu werden, daß die mit den dannzumaligen Wahrnehmungsorganen gemachten Beobachtungen an der Realität der Außenwelt ebensowenig etwas ändern, als es heute geschieht! ||
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Daß alle die Philosophien, Religionen, die uns, auf ein zukünftiges Leben vertrösten, und uns daher die illegale Konkurrenz, die die Kinder der Bevorzugten des Schicksals, ganz abgesehen von den Erwachsenen, schon von Geburt an den weniger begünstigten Kindern machen, als erträglich vormalen, dem Zufall unterworfen sind, haben Sie in den Welträtseln bewiesen.
Wann wird der Mann kommen, der auf Grund Ihrer Weltanschauung, die wie ein reinigendes Gewitter über die fett-dunkeln und neidisch-roten Fluren der Erde wirkt, einen neuen Staat bildet, in dem sich jeder nach Maßgabe seiner Fähigkeiten, seines Lebens freuen darf, – wo nur der eine führende Rolle spielt, dessen Organismus ihn dazu berechtigt, wo die natürliche Konkurrenz allein den Ausschlag gibt.
Ihre „Welträtsel“ lehren uns auch, daß, solange die Menschheit wissenschaftlich zu arm war, die Funktionen der Seele (der Begriff „Seele“ ist, ich wette, überhaupt auch bloß ein pfäffischer Bedarfsartikel), einfach als a verfeinerte physischeb Funktionen der höheren Lebewesen zu betrachten, – solange könnte auch eine hochwürdige Klerisei ihre Schäflein an der vielversprechenden „unsterblichen Leine“ führen. Leider sieht es, 200 Jahre nach Spinoza, immer noch aus, als ob es den vereinten Kräften ||
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der Dunkelmänner gelingen sollte, unter der Firma: Jesus, Maria, Papstc & Co die so einträgliche Goldgrube: „Unsterblichkeit der Dummheit“, noch lange auszubauen.
La Philosophie future seia mono haeckelienne,
on elle ne sera plus!
Ihnen noch lange Jahre gesunden Denkens
Und Lebens wünschend, zeichne ich
Hochachtungsvoll:
E. F. Barth.
a gestr.: die; b eingef.: physische; c korr. aus: Pabst