Besser, Käthe

Käthe Besser an Ernst Haeckel, Bonn, 21. Juli 1910

St. Marienhaus Venusberg

21.7.10 Bonn

Hoch verehrter, lieber Herr Professor!

Halten Sie mich nur nicht für undankbar, daß mein Dank für Ihr letztes gütiges Schreiben welches mich so riesig erfreute – bisher ausblieb! Aber Sie sehen von der obigen Adresse – daß ich im Hospital liege und noch dazu unter dem Schutze der heiligen Madre. Ein plötzlicher Verfall der Kräfte, dazu jeglicher Appetit-Mangel, scheint || mich in das Endstadium meiner tückischen Krankheit gebracht zu haben. Der Lebensbaum hat schon so viel tätliche Streiche erhalten, daß es schließlich nur natürlich ist, wenn der letzte Hieb das Ende bringt. Und – ich bin müde der Kämpfe – die Energie, über die ich im reichen Maße verfügte – versagt, ist verbraucht. Mitte Fünfzig || ist ja die biblische Grenze noch nicht – wie Ungezählte müssen abera früher von diesem fragwürdigen Globus. Geheimrat Unger sagte mir zwar, er flicke mich noch wieder etwas zusammen, aber was soll solch gekitteter Scherben? Ich fühle nach 3 wöchentlichem Krankenlager die Kräfte durchaus nicht zu nehmen.

Ihre Nachrichten, hochverehrter Freund, hatten auch einen Klang in Moll. Wie || können Sie aber nur sagen, Sie sein mit Ihrer Gattin fast in Jena vergessen!!! Auch in Ihrer Enkelin ist doch viel Glück und Segen, die unverheiratete Tochter ausgenommen. Und unter welchem Dach giebt es kein Ach? Auch Ihr Herz scheint durchaus zu halten trotz manchen Ärgers. Große Geister haben immer Freunde und Verfolger. Dem Dennert hätte ich gern mal ein Ragoût mit giftigen Schwammerln vorgesetzt – zu denen er selbst gehört. Nette species homo. ||

Gestern hatte ich Ihre Welträtsel schnell unter meine Bettdecke gesteckt als sich die „Frau Oberin“ hernieder an mein Bett setzte. Aber – ich glaube – ich hatte sie geistig zu hoch eingeschätzt, es bestand weder ein geheimes noch ein öffentliches Band zwischen ihr und diesen Rätseln. Sie sind unlösbar für sie. || Und heute liegen sie stolz auf meinem Nachttisch. Werden Sie reisen um den „heißen“ July – August, auf einer Höhe zu verleben? Mir persönlich ist das kühle Klima sympathischer als solche amerikanische Hitzewelle. Die Nerven fühlen sich viel besser dabei! Ach – die || Nerven, der schlimmste ist doch bei mir der nervus rerum. Und wenn mein alter Herr noch mal Umschau halten könnte, würde er sich doch über Vieles verwundern und Manches anders machen. Leben Sie herzlich wohl und verzeihen Sie die Schrift im Bett! Möchte es || Ihnen so gut gehen als es Ihnen von Herzen wünscht, in höchster Verehrung

Ihre

treu ergebene

Frau Käte Besser.

a eingef.: aber

 

Letter metadata

Recipient
Dating
21.07.1910
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 7591
ID
7591