Emil Bessels an Ernst Haeckel, Fort Monroe, 11. August 1879
Fort Monroe, d. 11/VIII 79.
Mein lieber Herr Professor.
Es wäre längst meine Schuldigkeit gewesen Ihnen zu schreiben und Ihnen für Ihre jüngste freundliche Sendung zu danken, die ich Mitte April erhielt. Da ich aber auf dem Sprunge war eine Sommerreise nach der Küste Ost-Sibiriens zu machen, so war ich durch die Vorbereitungen zu derselben mit Beschäftigungen aller Art überhäuft und verschob meinen guten Vorsatz von Tag zu Tag. Nun aber darf ich nicht länger säumen!
Zunächst will ich Ihnen mittheilen, dass mein Reise-Project sich zerschlagen hat, da die Regierung ihrem Versprechen untreu wurde und den Dampfer, welcher die Benett’sche Nordpol-Expedition hätte || begleiten sollen, nicht abfertigte. Dies war mir eine unangenehme Täuschung, zumal ich bereits alle Vorbereitungen getroffen und dadurch viel Zeit versäumt hatte. Aber es war wirklich fast unmöglich das Schiff zu schicken, denn die Unruhen, welche unter den Indianern von Alaska ausbrachen, veranlassten die Marine-Administration das Fahrzeug schliesslich nach Sitka zu schicken; wodurch mir die Gelegenheit abgeschnitten ist (wenigstens für dieses Jahr) die asiatischen Eskimos aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Ich wollte dies thun, um den ethnologischen Band (IIIten) Band des Reisewerks zu vervollständigen, der, wie Volum II der Veröffentlichung harrt, da es an Geld mangelt.
In dem Vorworte des kleinen Buches, welches ich mir erlaubte, Ihnen durch Engelmann jüngst zuschicken zu lassen, habe ich dies soweit auseinander gesetzt, als es möglich war, ohne vor den Augen des Publikums meine schwarze Wäsche auszubreiten, denn die von der Regierung bewilligten Gelder würden unter der vorigen Marine-Administration thatsächlich gestohlen. Hoffentlich macht das kleine || Buch Ihnen mehr Vergnügen, als mir. Als ich dasselbe im Sommer 1874 zusammenschrieb, bildete ich mir auf meinen Stil nicht eben wenig ein. Obschon ich später verschiedene formelle Abänderungen traf, so sehe ich jetzt die Mängel meiner Diction mehr und mehr ein. Vielleicht bin ich etwas zu kritisch in diesem Punkte, aber ich glaube man kann nicht penibel genug sein; und mir scheint, als gäbe man gerade in Deutschland viel zu wenig auf einen guten, klaren und euphorischen Satzbau.
Indess war die ganze Auflage des Buches bereits von den Sortiments-Buchhändlern mit Beschlag belegt, die sie eigentlich herausgekommen war. Ja, es wurden sogar gegen 1500 Exemplare mehr bestellt, als Engelmann liefern konnte. In der zweiten Auflage werde ich ein Menge Albernheiten völlig ausmerzen, die Diction gründlich umändern, nicht aber den Inhalt als solchen. Vielleicht haben Sie gesehen, daß ich die Beobachtungen über (Proto)Bathylius gerade so wiedergegeben habe, wie dieselben zur Zeit gemacht wurden. Dass ich mich damals geirrt haben sollte, kann ich mir kaum vorstellen, denn ich habe || die Vorgänge zu deutlich beobachtet. Es könnte die blosse Möglichkeit vorliegen, dass ich Theile von Organismen vor mir gehabt hätte – aber von welchen? falls dies wirklich so war.
Seit 5 Tagen bin ich hier auf Fort Monroe, einer künstlichen Insel und halbvollendeten Festung vor der Chaesapeake-Bay, wo die Johns Hopkins Universität in Baltimore eine temporäre zoologische Station errichtet hat. Ich möchte mich durch meine geographischen Liebhabereien nicht zu sehr von der Zoologie abziehen lassen und bin eben beschäftigt die Embryologie von Doris (oder einem nahe verwandten Biest) zu entziffern. Leider können die ersten Vorgänge nach der Befruchtung nur an Schnitten studirt werden und diese sind sehr schwer anzufertigen, da das erhärtete Ei beinahe auseinanderfällt und ebendies keine Dotterhaut besitzt, was die Missbilligkeiten noch vermehrt.
Hoffentlich sind Sie selbst und die Ihrigen wohl und leiden nicht unter den schrecklichen Stichen der zahlreichen Moskitos, die uns hier rücksichtslos umschwärmen und peinigen. Ich flüchtete aus einem kleinen Fischerdorfe (Crisfield) hierher, denn dort war es kaum auszuhalten.
In alter Anhänglichkeit,
Ihr treu ergebener
Emil Bessels