Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Brackwede, 14. Mai 1907

Brackwede, 14. Mai 1907

Sehr geehrter Herr Professor,

es ist mir Pflicht und Bedürfnis, Ihnen einen Bericht über die letzte Sitzung in Jena von meinem Standpunkte aus zu geben. Schon seit einiger Zeit hatte ich an verschiedenen Anzeichen gemerkt, dass etwas im Gange sei, von dem man mir keine Kenntnis gab. Ohne mir als dem Verleger des Bundes auch nur die geringste Mitteilung zu machen, hatte man mit verschiedenen Verlegern angeknüpft, um eine andere Form der Bundespublikationen herbeizuführen. Man hat erzählt und in der Sitzung behauptet, die „Blätter“ und „Flugschriften“ kosteten rund 10000 M. pro Jahr. Das ist aber ein grosser „Irrtum“. Denn nach meinen Rechnungen haben wir für die Blätter einschliesslich der Nummer 12 und der zweiten Auflage der Nummer 1 und bei drei Nummern, die stärker als ein Bogen waren, für den Druck im ganzen ausgegeben M. 1731. Die Flugschriften 1 bis 4, die Flugschrift Dorsch-Dodel und die 2. Auflage von Nr. 1 u. 3, zusammen 21000 Exemplare bei einer Gesamtstärke von über 19 Bogen, haben zusammen M. 4239 gekostet. Die Blätter haben wir nach reiflicher Ueberlegung gegründet, um ein kleines Organ zu haben, das den Zusammenhang zwischen den Mitgliedern herstellen sollte. Grössere zusammenhängende Publikationen sollten in die Flugschriften verwiesen werden. Der Bund muss meiner festen Ueberzeugung nach ein eigenes Organ haben, über das er das unbedingte und alleinige Verfügungsrecht hat. Bei der neu geplanten Einrichtung, nach der ein Verleger gewissermassen für eigene Rechnung die Sache übernimmt, der Bund nur eine bestimmte Anzahl von Exemplaren für einen festgelegten Preis bar abnimmt, ist der Bund nicht mehr sein eigener Herr in seinem Organ. Jeder Verleger wird selbstverständlich doch gewisse || Rechte auch bezüglich des Inhaltes beanspruchen und beanspruchen müssen. Zwistigkeiten und Unstimmigkeiten werden nicht ausbleiben. Ausserdem ist die Sache, wie ich in einem Rundschreiben an die Ausschussmitglieder demnächst zeigen werde, keineswegs billiger, als wenn wir selbst die Blätter nach und nach ausbauen. Auch halte ich eine Aenderung unseres handlichen Formates für ganz falsch. Eine Zeitschrift in Grossquartformat ist so unhandlich, dass man die Hefte nicht in die Tasche stecken kann, ohne die Blätter zu knicken und zu falten. Unser Oktavformat, das Format aller erfolgreichen modernen Zeitschriften (Zukunft, Blaubuch etc. etc.) ist handlich und bequem und sollte nicht aufgegeben werden.

Sehr bedenklich war das Auftreten der jungen Hamburger Rechtsanwälte, deren semitische Sitten abstossend wirkten. Es muss unbedingt vermieden werden, den Hamburgern zuviel Einfluss zukommen zu lassen. Ich bin immer der Ansicht gewesen, der Bund solle eine Vereinigung gebildeter Leute mit naturwissenschaftlischer Bildung sein, nicht aber ein Sammelsuirum von Freidenkern aller Schattierungen. Wir werden verflachen, wenn wir nicht diesen Standpunkt festhalten. Die von uns im vorigen Jahre so mühsam gefundenen Grundlagen der Bundesverfassung müssen aufrecht erhalten werden, wir müssen aristokratisch bleiben, die Verwaltung und Leitung centralisieren. Zu den Ausschusssitzungen sollten nicht immer Leute zugezogen werden, die dort nichts zu suchen haben. Vor allem aber sollte man nicht beständig die Satzungen und die Arbeitsordnung verletzen. Bis jetzt ist eigentlich noch in jeder Sitzung nichts anderes geschehen, daher auch der fürchterliche Wirrwarr und die steigende Sucht alles Bestehende umzustürzen und neues an die Stelle zu setzen, von dem ich nicht behaupten kann, dass es das bessere ist. In welches Wespennest Dr. Aigner mit seinem An-||trag gestochen hat, den Abgesandten der Ortsgruppen Stimmrecht zu geben, hat er ja im Verlauf der Sitzung noch selbst eingesehen. Wenn nicht demnächst die alten Ausschussmitglieder eine Majorität zusammen bringen, die alle schädlichen Neuerungen energisch ablehnt, so wird die ganze Organisation, wie wir sie uns ausgedacht haben und wie ich sie im Prinzip für richtig halte, in die Brüche gehen. Gerade Ihre persönliche Ansicht über die Organisation wird vernichtet.

Wenn ich feste Hülfe fände, würde ich es auf eine Entscheidung ankommen lassen: Wir Gründer des Bundes sollten an unseren Grundsätzen festhalten, selbst auf die Gefahr hin, dass einige Hundert Mitglieder austreten. Die Herren im Hamburg oder sonst wie, die kein Mensch kennt, werden niemals einen Monistenbund halten können.

Mir soll also der Verlag genommen werden. Ich habe mit vieler Arbeit und Sorgfalt mich um die Publikationen bemüht und nun, da die Sachen anfangen vorwärts zu gehen, werde ich einfach an die Luft gesetzt, zugunsten irgend eines Verlegers, der den Bund nunmehr für gross genug hält, um in seinen Mitgliedern einen festen Stamm von Abonnenten zu finden. Das ist hart für mich und ich weiss nicht, wodurch ich das um den Bund und unsere monistische Sache verdient habe, für die ich schon eingetreten bin, als viele der jungen Herren, die jetzt das grosse Wort führen, noch die unteren Schulbänke drückten. Auch die Geschäftsstelle soll nach Hamburg verlegt und von einem Commis verwaltet werden. Ein grösserer Unsinn ist kaum zu denken. Die Arbeit hier ist keineswegs rein mechanisch oder kaufmännisch, vielmehr treten an mich hier Hunderte von Fragen heran, die mehr wissenschaftlicher Natur sind und die ich direct beantworte. Die beste und richtigste Lösung wäre die: Dr. Schmidt übernimmt die wissenschaftliche Leitung, ich die geschäftliche einschliesslich Verlag etc. || Wir Beide arbeiten Hand in Hand und sind dem Ausschuss für unsere Arbeiten verantwortlich. Hier wie nirgendwo gilt der Satz: Viele Köche verderben den Brei. Ich bin wirklich neugierig, was demnächst aus der ganzen Sache wird. Mein Vertrauen ist nicht gross und kann nur wiederhergestellt werden, wenn die alten Ausschussmitglieder eine Majorität zusammenbringen zur Rettung unserer ursprünglichen Schöpfung und selbst bei Abstossung der demokratisch gesinnten Neulinge. Ich glaube, dass Dr. Schmidt wohl meiner Meinung beitreten wird, ebenso Herr Brauckmann und andere.

Am Donnerstag habe ich in der Sitzung den Antrag eingebracht, der Ausschuss möge eine ständige Kommission ernennen, die den naturwissenschaftlichen Unterricht auf den oberen Klassen im Auge behalten soll. Wie zeitgemäss mein Antrag war, zeigt der Angriff Reinkes im Herrenhause, auf den unbedingt möglichst bald vom Bunde eine Antwort erfolgen muss. Der biologische Unterricht, wie ich ihn mir denke und von Hermann Müller her kenne, führt zum Monismus, der biologische Unterricht, wie ihn Reinke und Wasmann erteilen lassen wollen, führt zu Dualismus und zum Kirchenglauben. Hier also muss eingesetzt werden, wenn wir für die Zukunft arbeiten wollen und hier haben wir eine practische Aufgabe für den Bund, der an Wichtigkeit und Actualität nur wenige gleich kommen dürften. Die alte Rumpelkammer der Kirche sollten wir nun endlich etwas beiseite lassen und uns Aufgaben zuwenden, die in die Zukunft weisen. Wer die Jugend hat und den Unterricht, der hat die Zukunft. Wenn wir das nicht einsehen und danach handeln, werden wir nichts grosses erreichen.

Ich bitte Sie recht sehr, verehrter Herr Professor, mein langes Schreiben zu entschuldigen mit meiner Hingabe an die grosse gemeinsame Sache.

Ich möchte so gern arbeiten für sie und helfen den Monismus vorwärts zu bringen. Wenn Sie selbst auf den Grundsätzen feststehen, die wir früher bestimmt haben, wird mancher Widerstand sich im Sande verlaufen und daher bitte ich Sie herzlich Ihre Stimme für die alte Organisation des Bundes einzusetzen.

In alter Treue bin ich mit herzlichen Grüssen

Ihr ergebener Schüler

Dr. W. Breitenbach

Brief Metadaten

ID
6029
Gattung
Brief ohne Umschlag
Institution von
Dr. Wilhelm Breitenbach, Buchdruckerei und Verlag (des Deutschen Monistenbundes)
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
14.05.1907
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
22,5 x 28,5 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6029
Zitiervorlage
Breitenbach, Wilhelm an Haeckel, Ernst; Brackwede; 14.05.1907; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_6029