Obkircher, Arnold

Arnold Obkircher an Ernst Haeckel, Baden, 12. April 190&

Baden 12 April 1906

Hochverehrter Herr Professor!

Vor einigen Wochen gieng mir von der Köhlerschen Verlagsbuchhandlung mit freundlich begleitenden Worten Ihrer Hand das Prachtwerk „Wanderbilder“ zu. Da ich von einer längeren Reise vor Kurzem erst zurückgekommen bin, hat sich zu meinem lebhaften Bedauern die Absendung meines Dankes verzögert, was ich Sie gütigst zu entschuldigen bitte. ||

Das Werk hat mich ganz entzückt, und ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll. Diese Aquarell-Skizzen sind einmal so herrlich ausgewählte Proben der wunderbaren Schönheiten der Natur, daß man entzückt und staunend davor steht und sich fragen muß, wie bezaubernd sie in Wirklichkeit auf ein empfängliches Gemüt wirken müssen. Dann aber zeugen sie von hoher Künstlerschaft eines entzückten und vor-||stehenden Auges. Man kann verstehen, daß ein Mann, dessen Pinsel so die Naturschönheiten wiederzugeben vermag und sich in seiner Bescheidenheit nicht Künstler nennen will, selbst unendlichen Genuß im Schauen gehabt haben muß. Er muß glücklich sein, und dass das hier zutrifft, kann man an dem heiteren Ausdruck der Augen und an der wolkenlosen reinen Stirne erkennen, wie sie sich auf Ihrem Bilde zeigen. Wer das Glück hat, Sie zu kennen, || empfindet es auch an Ihrer stets gleichen freundlichen Güte und Milde und der Wertschätzung Anderer, die es Ihnen nicht gleich tun können.

Für den Naturforscher ist aber jedes Geschöpf beachtenswert und schön in seiner Art, das er mit Liebe umfasst; und berechtigt ist sein heiliger Zorn für die Naturverderber und –schänder, wie er in Ihnen wohnt und den Alle verehren, die die Wahrheit lieben und die Unnatur hassen. Zu diesen gehöre ich, und deshalb bin ich auch Ihr Verehrer und bleibe mit innigem Dank und in vollkommener Hochachtung

Ihr ganz ergebener

Dr. Obkircher

 

Letter metadata

Recipient
Dating
12.04.1906
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
A 53604
ID
53604