Ernst Haeckel an Anna Sethe, Messina, 24. Dezember 1859

Messina 24.12.59.

(eigentlich 25. in der Frühe des Weihnachtstages)

So eben, Heiligabend, spät nach Mitternacht, komme ich nach Hause, liebste Änni, und obwohl todtmüde, muß ich Dir doch noch, ehe ich morgen den Brief in aller Frühe auf die Post spedire, erzählen, wie nett und relativ vergnügt, d.h. so weit es ohne Dich bester Schatz möglich ist, ich den Heilig Abend zugebracht habe. Ich hatte eigentlich von vornherein verzichtet, dies Jahr eine Weihnachtsfreude zu haben und mochte gar nicht an das Fest denken, das ich gänzlich ignoriren wollte. Als einzige Festfreude und mehr als eine ordentliche Erholung und Mittelpause in dem angestrengten Arbeitssemester des Winters, hatte ich mir vorgenommen, ein paar Tage allein im Gebirge umherzustreifen, womöglich längs der Höhenzüge an der Küste nach Taormina zu wandern, dort zu malen, und dann durch die Berge zurückzugehen. Allein auch dieser Plan wurde durch das jämmerliche Wetter, beständigen Siroccosturm mit starken Regengüssen, der hier seit 8 Tagen mit abwechselndem heftigem Nordwind kämpft, verhindert. Statt dessen wurde mir unerwartet eine andere Festfreude zu Theil: Ich hatte Dir wohl schon geschrieben, daß ich in den letzten Wochen ein paar Mal bei Sarauws gewesen bin, dem als den rechtschaffensten und bravsten Bekannten der hiesigen Kaufleute, dessen nette Familie mir sehr wohl gefiel. Das letztemal nun, als ich dort war, kam das Gespräch auf Weihnachten und ich erzählte, wie nett wir immer das Weihnachtsfest in unserm Haus gefeiert hätten. Dies hat denn, wie mir Dr. v. Bartels erzählt, Frau Sarauw so gerührt, daß sie gleich nachher ihren Mann bat, mich zum Heiligabend einladen zu dürfen. Dies geschah und ich ging heut Abend um 6 Uhr mit Dr. v. Bartels der mit der Familie sehr bekannt ist, und mich auch dort eingeführt hat, hin. Die Bescheerung war allerliebst und sehr nett arrangirt, ich hatte natürlich gar nicht auf Geschenke gerechnet und wollte mich bloß an der Freude der allerliebsten Kinder, eines reizenden Mädchen und zweier Buben, mit freuen. Um so mehr war ich überrascht, neben dem Aufbau des Dr. v. Bartels auch für mich eine sehr reiche nette Bescheerung zu finden. || Frau Sarauw hatte mir eine sehr hübsche Börse gestickt, ihr Mann ein reizendes Falzbein aus Perlmutter geschenkt, ferner eine Flasche 1845er Marcobrunnen und verschiedene andere Kleinigkeiten und Näschereien. Von Peters, die ebenfalls zur Bescheerung dort waren, bekam ich ein sehr hübsches Becherglas, mit Rebenlaub umwunden, und eine Flasche Anger-Codirot, mit der neckischen Aufschrift „Dr. H! Es präsentirt sich Ihnen eine Blonde, in Ermangelung einer anderen Blonden!“ – (Was für ein Ersatz??). – Doch mehr Freude als die Geschenke machte mir der schöne Lichterbaum, eine große Pinienkrone, die unsere, allerdings ungleich schönere, deutsche Tanne vertrat.

Auch über die niedlichen Kinder und ihre Freude hatte ich rechte Freude, und die ganze Familie war so liebenswürdig, daß ich hier wirklich keinen bessern Ersatz finden konnte. Daß ich trotzdem mit meinen Gedanken mehr in Berlin war, als hier, und daß ich stark kämpfen mußte, um die gewaltige Wehmuth nicht ganz Herr werden zu lassen, wirst Du Dir denken, und als nachher „die Lieben in der Heimath“ in Champagner hochlebten, weißt Du, auf wen ich mein Glas leerte? Frau Sarauw ist eine sehr nette Schweizerin, aus S. Gallen. Herr Sarauw ist eigentlich kein Deutscher, sonder ein Däne aus Kopenhagen aber, wie ich, trotz aller Schwärmerei für Schleswig Holstein eingestehen muß, ebenso liebenswürdig und nett, wie alle andern Dänen (in specie mein trefflicher Freund Krabbe) die ich kennen gelernt habe. Rollt doch auch in ihren Adern deutsches echt Germanisches Blut, mit seiner biedern Treue und natürlichen Wahrheit, die alle echt Germanischen Völker: Deutsche, Engländer, Dänen, Skandinavier, – verbindet und sie in ihrem tiefen innerlichen Wesen schroff den nur äußerlichen Romanen, – den Franzosen, Spaniern, Italienern – gegenüber stellt. Außer Peters war auch noch Sarauws Commis, Zinke aus Frankfurt, auch ein recht netter Kerl, dort. Ich wurde natürlich viel mit Dir geneckt und mußte Viel von Dir erzählen; Gewiß haben Dir die Ohren geklungen. Leider wirst Du die beiden Weihnachtsbriefe (den directen und den an Tante Bertha adressirten) wohl erst am 2 oder 3 Feiertag erhalten haben da der vapore a wegen heftigen Sturms erst am Dienstag (statt Sonntag) hier ankam und weiterging. Hoffentlich kommt dieser richtig zu Neujahr an, zu welchem Dir noch einen innigsten Kuß schickt Dein treuer Erni.

a gestr.: erst

Brief Metadaten

ID
52204
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Italien
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich beider Sizilien
Zielort
Zielland
Deutschland
Datierung
24.12.1859
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,1 x 22,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 52204
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Sethe, Anna; Messina; 24.12.1859; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_52204