Ernst Haeckel an Rudolf Eucken, Jena, 5. Januar 1916

Jena 5. Januar 1916.

Hochverehrter Kollege und lieber Freund!

Zu Ihrem Siebenzigsten Geburtstag, den Sie heute in erfreulichster Gesundheit und Geistesfrische feiern, sende ich Ihnen meine herzlichsten kollegialen Glückwünsche! Leider verbietet mir meine Gesundheit, insbesondere die stetige Abnahme der freien Ortsbewegung, Ihnen dieselben persönlich zu überbringen. Sie wissen ja aber aus den wiederholten freundlichen Besuchen, die Sie mir im Laufe der letzten Jahre abstatteten, wie hoch ich Ihre persönliche, unermüdliche und fruchtbare Tätigkeit als philosophischer Schriftsteller, Universitätslehrer und deutscher Patriot einschätze. War es mir doch vergönnt, mit Ihnen gemeinsam im Verlaufe des gigantischen, nun schon 17 Monate wütenden Weltkrieges für unser Deutsches Vaterland öffentlich einzutreten und die Würde der Deutschen Wissenschaft zu wahren. ||

Gleichzeitig überreiche ich Ihnen eine letzte, am Schlusse des Kriegsjahres 1915 erschienene Schrift über „Ewigkeit“. Obgleich diese realistischen „Weltkriegs-Gedanken“ der schöneren, von Ihnen erfolgreich vertretenen „Idealistischen Weltanschauung“ mehrfach widersprechen, hoffe ich doch, dass Sie in gewohnter Toleranz dem Triebe des empirischen Naturforschers nach Erkenntnis der Wahrheit seine Berechtigung nicht versagen werden. Meine monistische Auffassung des „Kosmos“ und seiner „Ewigkeit“ entspricht durchaus der Anschauung von Goethe, die in dem wundervollen (– auf der Rückseite meines Titelblattes teilweise wiedergegebenen –) Hymnus an „Die Natur“ (1780) den schönsten poetischen Ausdruck gefunden hat. ||

Eingedenk der vielen und nahen freundschaftlichen Beziehungen, welche mich seit 62 Jahren mit den auch Ihnen so teuren Familien Passow (Berlin), Seebeck (Jena) und Krauseneck (Triest) verknüpfen – insbesondere mit Ihrem Schwiegersohn Arnold Passow – bitte ich Sie, auch Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin meine freundlichen Glückwünsche zu Ihrem Festtage zu entbieten.

Mit dem aufrichtigen Wunsche, dass es Ihnen noch lange vergönnt sein möge, mit unverminderter Kraft und Frische für die Wissenschaft und das Vaterland tätig zu sein, und mit besten Grüssen auch an Ihre Familie, bleibe ich stets

Ihr treu ergebener

Ernst Haeckel.

Brief Metadaten

ID
42985
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
05.01.1916
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Besitzende Institution
ThULB Jena, Abt. Handschriften und Sondersammlungen
Signatur
Nachl. Eucken, Kasten I, 10, H 34-H 35
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Eucken, Rudolf; Jena; 05.01.1916; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_42985