Ernst Haeckel an Georg Reimer, Jena, 18. September 1868
Jena 18 Sept. 68.
Lieber Georg!
Ich wollte Dir schon gestern schreiben (wegen der im beiliegenden Briefe berührten Angelegenheit), hatte aber gestern und heute so vielerlei mit unserer neuen häuslichen Einrichtung zu thun, daß ich nicht dazu kam. Nun erhalte ich so eben Deinen freundlichen Brief mit dem Honorar für die „natürliche Schöpfungsgeschichte“. Für beides meinen besten Dank, ganz besonders aber für die 50 Freiexemplare welche mir höchst willkommen sind. Ich hatte eigentlich nur 40 gewünscht, fand aber jetzt, bei Zusammenstellung der Leute, denen ich das Buch schenken möchte, eine so ungewöhnliche Zahl von Anspruchmachenden, daß ich die 50 sehr gut brauchen kann. 22 Exemplare habe ich hier allein in Jena an Freunde und Kollegen zu vertheilen, und zwar größtentheils an solche, die sich das Buch doch nicht gekauft haben würden, da sie es hier leicht geliehen bekommen können, denen es aber || sehr erwünscht ist, von mir selbst ein Exemplar „zur freundlichen Erinnerung“ zu erhalten! 12 Exemplare gehen nach England und sollen dort für weitere Kreise Freunde des Buchs werden. So war denn gerade bei diesem Werk mir die größere Anzahl der Freiexemplare sehr angenehm! Das Honorar findet seine erste Verwendung sogleich jetzt bei den erfreulichen Erweiterungen, denen unser Hausstand entgegen geht. Du thust mir aber Unrecht, wenn Du meinst, daß ich gegen das preußische Papiergeld ebenso wie gegen alles Preußische „specifischen Haß“ hätte! Ich habe nur einen sehr gegründeten Haß gegen manches „specifisch-Preußische“, wie z. B. das preußische Militärbudget, Schulregulation, Nichtbestätigungen u. s. w. Jedesmal, wenn ich wieder verschiedene Theile Deutschlands durchreise, finde ich, daß die „specifischen Preußen“ noch mancherlei Gutes auch von den anderen Deutschen Stämmen lernen und annehmen können. Und am wenigsten würde ich eine „specifisch preußische“ Centralisation der Wissenschaft wünschen! ||
– Mit der Versendung der Freiexemplare werde ich Deinem Wunsche gemäß noch warten, und bitte nur, mich wissen zu lassen, wann dieselbe geschehen kann. –
Wegen der englischen Übersetzung der generellen Morphologiea, von der die beifolgende Einlage handelt, bitte ich Dich, mich baldigst Deine Meinung wissen zu lassen, damit ich Huxley darüber antworten kann. Der Vorschlag ist mir in mancher Beziehung sehr erwünscht, obwohl die Umarbeitung der generellen Morphologie mit bedeutender Abkürzung keine eben leichte und angenehme Arbeit sein wird. Schon viele Freunde der generellen Morphologie und der darin vertretenen Ansichten haben mir übereinstimmend den Wunsch ausgesprochen, ich möchte womöglich bald eine zweite Ausgabe resp. Umarbeitung veranstalten, welche sich von dem der ersten durch folgende Vorzüge auszeichnet:
1) Verkürzung und gedrängtere Darstellung.
2) Weglassung aller persönlichen Polemik, sowie aller schlechten Witze, etc. ||
3) Weglassung aller nicht streng zur Sache gehörigen Abschweifungen.
4) Vermeidung der vielen neuen Fremdwörter und faßlichere Darstellung.
– Das sind in der That die schlimmsten Schattenseiten des Buches, entsprungen aus der pathologisch-gereizten Stimmung, in welcher ich dasselbe schrieb. Sie haben dem Ganzen sehr geschadet, und es wäre mein lebhafter Wunsch, eine zweite Ausgabe zu veranstalten (von cc 40 Bogen, also ungefähr dem halben Umfang, nur ein Band) welche von jenen mit Recht sehr gerügten Mängeln frei ist.
– Ich bitte Dich nun, lieber Georg, mir ganz offen Deine Meinung darüber zu schreiben, ob nicht die von den Engländern gewünschte „verkürzte Übersetzung“ eine gute Veranlassung wäre, eine solche zweite Ausgabe zu veranstalten, entweder unter demselben Titel als „zweite umgearbeitete Auflage“ oder unter anderem Titel als „Principien der generellen Morphologie“. Ich würde für diese Arbeit kein Honorar beanspruchen. ||
II.
Natürlich würde der Rest der I. Aufl. nun wohl nur noch b wenig Absatz finden, und es wird sich darum handeln, ob davon schon so viel verkauft sind, daß diese II Aufl. keinen Schaden verursachen würde. Immerhin würde das Erscheinen der letzteren erst in das Jahr 1870 fallen, da die Umarbeitung mir wenigstens ein Jahr kosten würde. Die englische Übersetzung könnte dann vielleicht gleichzeitig mit der deutschen Ausgabe erscheinen. Jedenfalls würde der Druck auch der deutschen Umarbeitung erst beginnen, wenn dieselbe ganz im Manuscript vollendet ist.
– Falls Du diesen Vorschlag nicht für passend hältst, so bitte ich Dich, mir zu sagen, ob Du gegen eine einfach abgekürzte englische Übersetzung Nichts einzuwenden hast. Ich würde mich in diesem Fall darauf beschränken, einfach etwa 1/3 des Textes zu streichen (alle polemischen und nicht streng zur Sache gehörigen Stellen) – übrigens aber nur sehr wenig ändern. ||
– Von Frommann werde ich nur 45 Freiexemplare entnehmen, und bitte Dich dagegen fünf Exemplare an meine Eltern (zur Vertheilung unter die nächsten Verwandten) direct zu schicken. –
Meine dreiwöchentliche Erholungsreise war vom schönsten Wetter begünstigt, und hat mir nach der hastigen Überarbeitung des Sommers sehr wohl gethan. Das Malaxion-Fieber, welches ich mir durch eine Erkältung im sumpfigen Etschthal bei Bozen zuzog, war bei passender Behandlung bald beseitigt. Agnes fand ich recht wohl und munter, und hoffe, daß nun Alles gut gehen wird. – In München hatte ich die Freude, in fast sämmtlichen jüngeren Naturforschern (unter denen sich sehr tüchtige befinden) eifrige Darwinisten und Freunde meiner generellen Morphologie kennen zu lernen (in auffallendem Gegensatz zu Berlin!)
– Agnes grüßt Dich und die Deinigen mit mir herzlich.
Dein
Ernst Haeckel.
P. S. Bitte mir den einliegenden Brief wieder mitzuschicken. – c
– In No. 64 und 65 der Wiener medicinischen Wochenschrift (vom 8. und 12. Aug.) findet sich eine Kritik der generellen Morphologie von Dr. Reich.
a eingef:: der generell. Morph.; b gestr. recht; c gestrichener unleserlicher Text