Heinrich Angst an Ernst Haeckel, Regensberg, 18. Oktober 1914
REGENSBERG (ZÜRICH)
TELEGRAPH UND TELEPHON.
(BAHNSTATION DIELSDORF.)
October 18. 1914.
SONNTAGS KEIN EMPFANG.
Hochvgeehrter Herr Professor,
die inliegende Zeitungsnotiz bietet mir den willkommenen Anlaß einige Worte an Sie zu richten.
Vielleicht erinnern Sie sich meiner noch als Ihr Führer vor Jahren durch das von mir gegründete Schweizerische Landesmuseum in Zürich, dessen Leitung ich vor zehn Jahren wegen Erkrankung niederlegen mußte. || Nach Ihrer Rückkehr nach Hause hatten Sie die große Güte, mir eines Ihrer Werke mit eigenhändiger Dedikation zu schicken, das nun eine Zierde der Bibliothek dieses meines Landsitzes bildet.
Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem Antrage das Hodler’sche Bild aus der Universität zu entfernen und zwar weniger aus politischen als aus künstlerischen Gründen. Es ist ja längst bekannt, wie diese Malerei Ihrer Universität || von einer Gruppe moderner Kunstdüpierter, Kunsthändler und interessierter Journalisten aufgedrängt wurde. Als ich den Karton in Zürich sah, sagte ich mir sofort, das seien keine deutschen Studenten der Befreiungskriege, sondern blöde Kosaken auf schleunigem Rückzug vor Feinden begriffen. Ähnlich ist der sogenannte Rückzug von Marignano, der trotz meines heftigsten Widerstandes meinem Museum in Zürich von der Hodler-Clique aufgehalst wurde, eine Komödie || ohne Herz und Verstand, und nicht umsonst nannte mein alter Freund, Herr Geheimrat Bode die Hodler-Mache damals „eine verlogene Kunst“.
Ich fürchte blos eines, nämlich daß der Erlös für den Schmarren in Jena in keinem Verhältnis zu den Erstellungskosten sein wird. Wer sollte solches Zeug kaufen? Es sei denn die deutschen oder schweizerischen Hodler-Spekulanten, um keine zu große Entwertung Ihrer bereits unverkäuflichen Lager Hodler’scher Produkte || eintreten zu lassen.
Ich hoffe nun blos, daß man in Hannover das Beispiel von Jena befolgen und das scheußliche Reformationsbild (!) ebenfalls der Rumpelkammer übergeben wird. Hodler hat es mit charakteristischer Nichtachtung der Besteller „Unanimité“ getauft, wie er überhaupt seinen verzerrten Jammergestalten und Kompositionen zuweilen französische Namen anhängt.
Hodler ist ein von Haus ausa Begabter, aber || gänzlich unkultivierter, ungebildeter und roher Patron, das Produkt geringster Montmartre-Sumpfkreise, von dem ein inneres Verständnis für deutsches Wesen und wahre deutsche Kunst nie zu erwarten war. In der Schweiz ist der Mann abgethan und nun offenbar auch in Deutschland, die Clique wird aber noch einige Zeit fortleben. –
Ich erwarte keine Antwort von Ihnen, denn diese Zeilen sind der spontane Ausfluß meiner Stimmung und rufen keiner || Antwort. In Ihrem Alter hat man ein Anrecht auf Ruhe, auch Korrespondenten gegenüber.
Empfangen Sie, hochgeehrter Herr Professor, mit meinen aufrichtigsten Wünschen für Ihr Wohlergehen die Versicherung vorzüglichster Hochachtung
Ihres ergebenen
H. Angst.
[Adresse auf Kuvert]
Herrn Prof. Dr. E. Haeckel,
Jena.
Deutschland
a eingef.: aus