Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Interlaken, 7. September 1880

Interlaken Di. 7/9 80

Liebste Mutter!

Gestern sind wir munter und wohlbehalten in unserer Ruhestation Interlaken angelangt, wo wir die letzten 8 Tage unsrer Schweizer Reise verleben wollen. Der achttägige Aufenthalt in der Pension Herrenmatt, in Weggis, war sehr nett, und wir haben den prächtigen Vierwaldtstätter See recht genossen, trotzdem das Wetter theilweis ungünstig war. Nur die Rigi-Befahrung verunglückte durch Nebel und Regen; dagegen hatten wir prächtige Tage in Axenstein, Hertenstein, Seelisberg. Die Pension in Weggis war sehr bescheiden (5 Fra pro Tag) aber sehr freundlich. ||

Do. 2 Sept. reisten wir von a Weggis ab nach Luzern, über Langenau und Bern per Bahn nach Thun, wo wir in dem prächtigen Hôtel Bellevue einen herrlichen Tag verlebten.

Fr. 3/9 Morgens von Thun per Dampfboot beim herrlichsten Wetter (das bis heute anhält) nach Interlaken, von da gleich weiter nach Lauterbrunn.

Sa 4/9 glänzendster Reisetag! von Lauterbrunn über die Wengern-Alp nach dem kleinen Scheideck. Agnes hoch zu Roß! ich und Freund Rottenburg zu Fuß. Oben auf der Scheideck trafen wir Morgens 10 Uhr mit Professor Thon und Frau aus Jena zusammen, sehr nett. ||

Nachmittag gingen Agnes und b Frau Thon (nebst Schwester, Frl. Luden) zum Mönch- Gletscher, während Prof. Thon und ich das hohe Lauberhorn bestiegen (7200´) Prächtigste Abend-Aussicht. Sehr vergnügter Abend im Scheideck-Hôtel.

Sonntags 5/9 Morgens 6 Uhr von der Scheideck nach Grindelwald hinabgeklettert (Hôtel Glacier doppelt so gut und halb so theuer als der „Steinbock“ in Lauterbrunn). Nachmittag ruhte Agnes aus, während Rottenburg und ich eine sehr interessante Tour zum Eismeer und dem Bäregg oberhalb des unteren Grindelwald-Gletschers unternahmen, anstrengend! Abends bei heftigem Gewitter zurück. Sehr schöne Eishöhle und Klamm-Grotte. ||

Montag 6/Sept. Früh mit Einspänner vom Grindelwald nach Interlaken, wo wir in der kleinen, aber sehr guten „Pension Reber“ ein vortreffliches Unterkommen gefunden haben. Wir wollen nun bis Sonntag hier bleiben und nur kleinere Excursionen machen.

Montag 13/9 werde ich Agnes nach Bern bringen, von wo sie direct über Heidelberg nach Jena zurückreist. Ich selbst gehe nach Genua, (wahrscheinlich via Simplon) und von dort vermutlich auf 3 – 4 Wochen an einen c Punkt der Riviera (oder Elba) um Medusen zu fischen. Ich werde wohl erst Mitte October in Jena eintreffen. d ||

7./9. 80 II.

Im Ganzen sind die 3 Wochen unserer Reise recht hübsch verlaufen und ist sowohl Agnes als ich selbst sehr befriedigt; wir haben uns recht erholt und sind gut in Stand. Das Wetter war meistens schön; ganz verregnet ist nur die Rigi-Tour (per Eisenbahn hinauf!) Auch die paar Regentage am Vierwaldstätter See konnten wir doch theilweise benutzen. Das Wetter im schönsten Theil des Berner Oberlandes war tadellos! Kurz wir sind doch zufrieden. Hier in Interlaken wollen wir nur noch kleinere Partien machen. ||

Beim Heraufklettern auf die Wengern-Alp und das Lauberhorn habe ich übrigens gemerkt, daß ich alt geworden bin und nicht mehr gut klettern kann; ich verliere bald den Athem und bekomme arges Herzklopfen. Agnes freut sich überhaupt, daß ich so ruhig und gesetzt geworden bin!

– Herrn T. Bumke in Berlin habe ich geschrieben, daß er die Zinsen der Hypothek nach Potsdam an Carl schicken soll; Du legts sie wohl in die Credit Bank.

Mit herzlichsten Grüßen von mir und Agnes

Dein treuer Ernst.

Adresse: Pension Reber, Interlaken, Schweiz.

a gestr.: Seelisberg; b gestr.: die; c gestr.: reizenden; d gestr. am unteren Seitenrand: Interlak

Brief Metadaten

ID
38841
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Schweiz
Entstehungsland zeitgenössisch
Schweiz
Datierung
07.09.1880
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
6
Umfang Blätter
3
Format
Dbl.: 11,4 x 18,0 cm; Bl.: 11,4 x 18,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38841
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Haeckel, Charlotte; Interlaken; 07.09.1880; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_38841