8 Maerz 65.
Ich sitze heute ganz dik in den Hohenstaufen und habe heute die Beschreibung der Regierungsweise Pabst Innocenz III gelesen, unter welchem sich die päbstliche Macht aufs Höchste gesteigert hatte. Was ist doch alles aus dem Christenthum gemacht worden! Wir sind jetzt viel beßere Christen, als sie es in damaligen Zeiten waren. Aberglaube und Orthodoxie war ihr damaliges Christenthum und wenn auch die Neigung zum Ewigen nicht verloren gieng, sondern immer wieder durchbrach, so war doch die Herrschsucht der Geistlichen, die sich schon in den ersten 3 Jahrhunderten durch die Absonderung von den Laien zeigte, so ungemein vorgeschritten, daß eine allgemeine Verderbniß der Geistlichkeit nicht ausbleiben konnte, die endlich zur Reformation führte. Es ist einem ganz wunderlich zu Muthe, wenn man die damalige Zeit der jetzigen gegen überstellt, deren Haupttendenz es ist, Bildung und Kultur überall auf der Erde zu verbreiten und die Menschen möglichst frei und menschlich zu machen.
Morgen wird die Majorin v. Brauchitsch begraben, die Du aus frühern Jahren von Merseburg kennst, indem Brauchitsch bei dem dortigen Regiment angestellt war. Es war eine prächtige Frau voll des klarsten Strebens, die die Aufgabe der jetzigen Zeit wohl erkannte und sie auch nach ihren Kräften besonders in der Erziehung ihrer Kinder zu lösen suchte. Der arme Mann mit seinen 5 Kindern hat ungemein verloren und hat eine schwere Aufgaben zu lösen. – Vorigen Sonnabend halb 9 Uhr kam unser Karl ganz unerwartet und blieb bis den andern Abend halb 10 Uhr. Das hat uns recht erquikt und wir haben uns möglichst ausgeplaudert. Zu Palmarum gedenkt er mit den Seinigen die neue Wohnung zu beziehen und zu Palmarum denkst auch Du hier einzutreffen, leider nur auf kurze Zeit. Indeß freue ich [mich] über den Fleiß, mit welchem Du Deiner Arbeit obliegst. Im Monat Juli gedenken Mutter und ich Dich auf ein Paar Wochen zu besuchen, ehe Du Deine Reise antrittst. Ueber Deine Gehaltsverbeßerung haben wir uns sehr gefreut und noch mehr über die Art und Weise, wie sie Dir zu Theil geworden. Seebeck ist doch ein edler Mensch, grüße ihn aufs herzlichste von mir, so wie Deine übrigen Freunde. Mit 600 rl. Einkommen kannst Du allerdings Leben und auskommen. Dein Dich
liebender Alter Hkl