Ernst Krause an Ernst Haeckel, Berlin, 15. Februar 1879

Berlin N. O. Friedenstr. 10. II.

den 15.2.79.

Lieber Freund!

Zu Ihrem Fünfundvierzigsten wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen feste Gesundheit u. heitern Muth für jetzt u. alle Zukunft, das Übrige wird von selber kommen. Morphologie u. Biologie werden schon noch einsehen lernen, was sie Ihnen Alles zu danken haben, darum ist mir nicht bange. Ihr Geburtstag hat zu langen Vorbesprechungen zwischen Alberts u. mir Veranlassung gegeben. In seiner großen u. aufrichtigen Verehrung für Sie, wollte er durchaus, daß Ihnen das Februarheft mit zugeeignet werden, u. daß Fitger Sie mit besingen sollte. Ich hielt diese Idee für gutgemeint aber verfehlt, u. habe ihn auf Ihren Fünfzigsten vertröstet.

Mit Fitgers Gedicht ist man gar nicht zufrieden, die Kölnische (Kruse) meint, es sei eine Parodie auf den Faust, die das ganze Heft entstelle. So schlimm kommt mir die Sache nicht vor, wenn ich auch sagen muß, daß ich mancherlei Bedenken gegen dasselbe hatte u. es nur faute de mieux acceptirt habe. Schlimmer ist, daß der Verleger die Revision des Heftes sehr mangelhaft besorgt hat, u. mein einziger Trost ist, daß Darwin weder die Mängel des Gedichtes noch die Druckfehler alle bemerken wird. Ich war grade in der Correcturzeit durch die dumme Müller-Affaire etwas in Anspruch genommen, u. so läßt denn die letzte Politur wieder einmal Manches zu wünschen übrig.

Virchow hat natürlich die Gelegenheit ergriffen, sich wieder einmal großartig in Scene zu setzen, u. nur || weil er sich das hatte vorher leisten können, hat er nachher die Freiheit der Forschung auf seine Art vertheidigt; es wird ihm nun Alles nichts helfen, er wird doch zum alten Eisen geworfen. Mir wird es bei den Gutgesinnten schaden, daß man mich wiederholt in Firma Darwin-Häckel-Carus Sterne in der Kammer citirt hat, ich wollte erst gegen das Unberechtigte dieser Rangliste remonstriren, allein ich konnte die rechte Form nicht finden, u. die Nothwendigkeit dem Cultusminister beizuspringen, dem es ja allein galt, ging vor, daher die starke Betonung der „Religiosität“ in den Artikeln der Vossischen Zeitung. Nicht, daß mir so speciell Falk’s Wohl am Herzen läge – obwohl er hundertmal besser ist, als sein vermuthlicher Nachfolger – aber wenn Falk seinen Abschied genommen hätte, wäre auch Müller abgedankt worden, u. aus dessen eigenen Mund weiß ich, daß ihm seine Stellung in Lippstadt sehr am Herzen liegt, u. daß er bei seiner starken Familie entschieden nicht wünscht, sich nach einem anderen Erwerb umzusehen.

Noch um Eins möchte ich Sie bitten, nicht über den versöhnlichen Ton zu erschrecken, den der Kosmos jetzt mitunter anschlägt. Der betreffende Artikel im Februarheft würde gewiß Ihren Beifall gefunden haben, wenn nicht Jäger in seiner Hÿperfrommen Art einige ballsamisirende Amendements eingebracht hätte. Es hat sich, wie Sie wissen, im Protestanten-Verein u. sonst eine beträchtliche Annäherung an den Darwinismus vollzogen, u. mir scheint, als sollten wir die Stimmung durch Entgegenkommen ausnutzen. Prof. Pfleiderer hielt neulich hier vor einem ungeheuren Publikum einen Vortrag, || in welchem er den Darwinismus als die Grundlage der christlichen Lehre a, u. namentlich die Prädestinationslehre als einem recht darwinistischen Gedanken entsprossen pries!

Jaeger grollt jetzt aller Welt u. besonders mir, da ich mich entschieden geweigert habe, b einige Fortsetzungen der „Seelen-Entdeckung“ aufzunehmen, in denen er von den übelriechenden Sekreten der Schauspieler vor ersten Vorstellungen u. ähnlichen appetitlichen Dingen breit u. behaglichc erzählte. Ich erschrecke vor dem Gedanken, daß ein Anderer als Sie, das lesen könnte, aber ihn genirte das keineswegs, mit ähnlichen netten Geschichten sich, Frau u. Kinder u. den Kosmos dazu, der – Lächerlichkeit preiszugeben.

Da ich nun einmal so ungeschickt gewesen bin, in einem Gratulationsbriefe mit solchen Details zu erscheinen, möchte ich das Maaß d voll machen und bei Ihnen anfragen, ob Sie e glauben, daß Herr Oscar Hertwig uns eine Darstellung der neueren Entdeckungen über die Befruchtungsvorgänge schreiben würde? Ich beruhige mich mit dem Gedanken, daß Sie in jedem Augenblicke von der Aufrichtigkeit meiner Gefühle für Sie u. Ihre Bestrebungen überzeugt sind u. schließe

Mit den herzlichsten Grüßen

Ihr

dankbar ergebener

Ernst Krause

a gestr.: pries; b gestr.: ähnliche; c eingef.: breit u. behaglich; d gestr.: folgen; e gestr.: nicht

Brief Metadaten

ID
29447
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
15.02.1879
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Format
22,3 x 14,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 29447
Zitiervorlage
Krause, Ernst an Haeckel, Ernst; Berlin; 15.02.1879; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_29447