Max Lange an Ernst Haeckel, Leipzig, 30. Oktober 1914

Ew. Exzellenz!

Die Nachrichten über schmachvollste Behandlung unserer Volksgenossen im Auslande, seien es Civilisten oder gefangene Krieger, Gesunde oder Verwundete und Kranke mehren sich in erschreckendster Weise. Die Angehörigen der mit uns kriegführenden Nationen dagegen führen, soweit sie in unserem Land aufhältlich, || als Civilisten ein ungestörtes, geradezu sorgenloses Dasein, als Verwundete und Gefangene, besonders wenn Offiziere, scheinen sie direkt unseren eigenen Leuten vorgezogen zu werden oder wenigstens unglaubliche Erleichterungen zu genießen.

In die tieferen Beweggründe dieser Behandungsmethoden hat man ja als nicht Diplomat keinen Einblick – doch sollte man glauben, daß es angebracht sein dürfte, den zünftigen Herren von der Diplomatie wenigstens Kenntniß zu geben von der durch die angedeuteten Verhältnisse hervorgerufenen Empörung unter dem „Volke“. Vielleicht haben die betreffenden Kreise keine Kenntniß hiervon oder warten || vielleicht auf Äußerungen, auf die gestützt sie die nöthigen Schritte unternehmen wollen!

Dürften nicht die Universitäten als Pflegestätten der Kultur die gegebenen Stellen sein, an denen Versammlungen einzuberufen wären, in denen flammende Proteste gegen die himmelschreienden Zustände erhoben würden?

Und sollten, wenn an allen Universitäten solche Protest-Versammlungen abgehalten und deren Beschlüsse den Regierungsstellen zur Kenntniß gebracht würden, diese nicht doch zu einem Einschreiten veranlaßt werden können?

Freilich wäre schleuniges Handeln nöthig. Und || da fehlt es an dem Bannerträger, um den sich freudig und willig Alle schaaren würden.

Sollten Ew. Exzellenz nicht geneigt sei, den Ruf an Alle ergehen zu lassen, sich wieder zusammenzufinden in machtvollem Eintreten für unser eigen Blut in der Ferne? Ohne Massenproteste ist und wird nichts gethan und gewartet ist lange genug ja allzulange.

Daß aber gerade ein Aufruf von Ew. Exzellenz Seite freudigsten, donnernden Widerhall finden würde, dessen sind wir sicher. Versagen Sie sich nicht, rufen Sie die Universitäten auf den Plan und alle Wohlmeinenden werden folgen – Ihnen aber wird der Dank des Volkes sicher sein!

In großer Verehrung

Ew. Exzellenz ergebenster

Prof. Dr. Max Lange

Bildhauer

Leipzig-Gohlis

Pölitzstr. 6.

30.X.14

Brief Metadaten

ID
27279
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
30.10.1914
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,2 x 22,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 27279
Zitiervorlage
Lange, Max an Haeckel, Ernst; Leipzig; 30.10.1914; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_27279