Moriz Freiherr von Eberstein an Ernst Haeckel, Berlin, 16. Juni 1883

SW 29. Berlin,

Großbeeren-Straße 18,

den 16. Juni 1883.

Hochgeehrter Herr Professor!

Sie erinnern Sich wol noch eines Gespräches im März 1878 in Leipzig, in welchem berührt wurde, es sei zwar versäumt worden, dem Nestor der botanischen Mikroskopiker Friederich Traugott Kützing zu seinem 70t Geburtstage (8t December) eine Aufmerksamkeit zu erweisen, man könne aber das nachholen entweder am 1t Januar 1881 als dem Tage, von welchem 50 Jahre vorher Kützings erste Schrift datirt sei, oder zum fünfzigjährigen Gedächtnis von Kützings epochemachender Entdeckung der Kieselzelle der Bacillarien. Sie sprachen damals Ihre freudige Bereitwilligkeit aus, dazu mitwirken zu wollen, wie auch Herr Geh. Rath Rudolf Leuckardt, der damals gerade das Rectorat hatte, auch von Seiten der Univer-||sität Leipzig gern Kützing eine wolverdiente Anerkennung zu Theil werden lassen wolltea, die man ihm um so mehr schuldig sei, da er durch Ehrenberg so lange niedergehalten worden sei.

Am Himmelfahrtstage 1884 nun werden er 50 Jahre, daß Kützing (damals 26½ Jahr) nachwies: der sogenannte „Panzer“ der Bacillarien bestehe aus Kieselerde.

Über diese seine Entdeckung machte er Mittheilung an Alexander von Humboldt und an die Akademie der Wissenschaften zu Berlin; freudige Zuschriften erfolgten von Humboldt, Prof. Horkel und auch Ehrenberg. Die Folge war, daß eine Anzahl wissenschaftlicher Männer zu einer Actiengesellschaft zusammentraten und Kützing auf Reisen nach dem südlichen Europa, nach der Adria und dem Mittelmeere schickte. Im Februar 1835 in Wien angelangt, wurde er von Baron Jacquin eingeladen, vor diesem und dessen anderen Gästen (Endlicher, Fenzl, Diesing, Littrow, Baumgärtner, Reichenbach und dem 90jährigen Wittmannstädten einen Vortrag über seine Entdeckung mit den nötigen Demonstrationen unter dem Mikroskope zu halten. Auf seiner Rückreise im September nahm Kützing in Karlsbad längeren Aufenthalt, eingeladen von || dem Director der kk. Porcellanmanufactur C. Fischer in Pirkenhammer; täglich machten Beide Excursionen nach den Karlsbader heißen Quellen in Absicht auf das Vorkommen von Algen. Nach Kützings Abreise untersuchte Fischer den Franzensbader Kieselguhr und fand, daß dieser ganz und gar aus Bacillarienschalen bestehe. Damit war das fossile Vorkommen derselben nachgewiesen. Also nicht Ehrenberg, wie man in vielen Schriften und natürlich auch in Conversationslexicis liest, sondern Fischer auf Grund von Kützings Entdeckung ist Auffinder der Bacillarienleichen in dem Kieselguhr!

Auch die vegetabilische Natur der Hefe ist von Kützing zuerst (im Herbst 1834) entdeckt und nachgewiesen worden. Er schickte seine Abhandlung vor Antritt seiner Reise im Januar 1835 an Poggendorff zur Aufnahme in dessen Annalen. Allein Poggendorff legte dieselbe – – bei – Seite! und schickte sie auch nicht einmal auf Kützings Wunsch zurück! Nachdem darüber ein ganzes Jahr verflossen war, erfuhr Kützing auf seiner Rückreise in Bern, daß Cagniard-Latour im September 1835 über den selben Gegenstand der Pariser Akademie Mit-||theilung gemacht hatte! Bei dieser ersten trüben Erfahrung Kützings sollte es nicht bleiben; kurz nach seiner Rückkehr nach Halle eröffneten sich für ihn die Aussichten auf eine Anstellung in Berlin, wofür Prof. Horkel wirkte; – allein Ehrenberg widersprach! Der Antagonismus Ehrenberg’s steigerte sich, als Kützing’s Beantwortung einer von der Haarlemer Akademie gestellten Preisaufgabe mit der goldenen Medaille und außerdem mit 300 Gulden # gekrönt wurde („Die Umwandelung niederer Algenformen in höhere pp“), worüber sich Ehrenberg sehr bitter aussprach. Als Kützing 1841 seinen Phycologia generalis beendigt hatte und der Kupferstecher Weber in Berlin alleinb für den Stich jeder der zugehörigen 80 Tafeln mikroskopischer Abbildungen 30 rℓ. verlangte (also Summa 2400 rℓ) schickte Kützing die Tafeln an seinen alten Gönner Alexander von Humboldt und bat ihn, die Akademie für die Ermöglichung der Herausgabe zu interessiren; Humboldt gegenüber wagte Ehrenberg zwar nicht, eine Unterstützung überhaupt zu widerrrathen; auf seinen massgebenden Vorschlag bewilligte indessen die Akademie 200 rℓ – sage zweihundert Thaler – für Kützing „persönlich“ „zur Aufmunterung“!!! Nun dieser schulmeisterlichen Aufmunterung bedurfte Kützing nicht – und er wurde selbst der Lithograph seiner bewunderungswürdig treuen mikroskopischen Zeichnungen! Eulen hiesse es nach Athen tragen, wenn ich Ihnen gegenüber etwas Weiteres über Kützings Arbeiten und Bedeutung sagen wollte; ich gestatte mir nur die ergebene Anfrage an Sie zu richten, ob Sie, verehrter Herr Professor, geneigt sein würden, der Anregung weitere Folge zu geben.

In aufrichtiger Hochachtung

Ew. Wohlgeboren

ganz ergebenster

M. Frhr. v. Eberstein.

a eingef.: wollte; b eingef.: allein

Brief Metadaten

ID
2484
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
16.06.1883
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
21,0 x 28,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 2484
Zitiervorlage
Eberstein, Moriz Freiherr von an Haeckel, Ernst; Berlin; 16.06.1883; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_2484