Wilhelm Ostwald an Ernst Haeckel, Grossbothen, 22. Dezember 1911
Dr. Wilh. Ostwald
Gross-Bothen, Kgr. Sachsen
Landhaus Energie
22.12.11
Verehrter und lieber Freund:
Die 25 Aquarelle sind richtig und gut angekommen; ebenso die Beilagen, insbesondere das
ausgezeichnete Bildnis mit der gütigen Unterschrift, das einen Ehrenplatz in meinem Arbeitszimmer bekommen wird. Vielen und herzlichen Dank! Ich gedenke die Aquarelle in
München auf der Geschäftsstelle zu deponieren, nachdem ich 2 davon an Lehmann-Russbüldt zu bester Verwertung für die Kirchenaustritt-Bewegung übergeben habe.
Ihre freundliche Anerkennung meiner Arbeit am Monistenbund ist mir eine grosse Freude;
allerdings verkenne ich nicht, dass zu dem gegenwärtigen Aufschwung vielerlei zusammengewirkt hat. Nun heisst es allerdings, die Gunst der Stunde eifrig und sachgemäss
ausnutzen.
Von Knaupp habe ich auf meine Sendung (Brief und Bildnis) eine überaus herzliche und
dankbare Antwort erhalten.
Die Angelegenheit Breitenbach ist recht schwierig. Das erste, was ich von ihm erfuhr, waren
vor einem Jahre seine heftigen Angriffe auf den Monistenbund und seine Versuche, ihn durch seinen Humboldt-Bund zu sprengen. Nun scheint er mit dieser ganz persönlichen Reaktion gegen das, was er (ob || mit Recht oder Unrecht kann ich nicht entscheiden) durch den DMB erfahren hat, nicht den gehofften Erfolg erzielt zu haben, denn er lässt mich seit Monaten schon durch verschiedene Mittelpersonen bearbeiten, dass ich oder der Bund ihm entgegenkommen solle. Ich meine, sein moralisches Schuldkonto beim Bunde ist durch sein damaliges Verhalten so erheblich, dass umgekehrt die Frage besteht, ob er, falls er sich wieder als Mitglied meldet, ohne weiteres aufgenommen werden könnte; ich selbst würde übrigens für Aufnahme sein. Keinenfalls aber darf er erwarten, dass ich mich persönlich oder von Bundes wegen um ihn bemühen werde. Was die Zeitschrift anlangt, so soll unsere künftige Wochenschrift nicht in erster Linie naturwissenschaftlich, sondern kulturpolitisch sein. Gute populärnaturwissenschaftliche Zeitschriften gibt es reichlich genug. Ebenso habe ich keine Lust, mit J. A. Barth die Zeitschrift zu machen; endlich glaube ich nicht, dass Dr. Br. sich meiner Führung ohne Widerstand unterordnen würde, was doch für mich die erste Bedingung meiner Tätigkeit an der Zeitschrift wäre. Also in Summa: Es geht sehr gut ohne ihn und ginge sehr schwer mit ihm; da spricht der energetische Imperativ doch massge||gebend [!] gegen den Versuch. Warum tritt Br. nicht einfach ein, wie es Schmidt in so dankenswerter Weise getan hat?
Werden Sie wieder um Weihnacht nach Leipzig reisen? Wenn ja, so würde ich Sie sehr gern dort besuchen. Wir sollten doch den Jahrestag der folgenreichen Zusammenkunft vom 26. 12. 10 nicht ungefeiert lassen. Sie um diese Jahreszeit noch „Energie“ einzuladen, wage ich nicht, wenn ich auch die Hoffnung nicht aufgeben möchte, dass Sie im nächsten Sommer mir diese Auszeichnung gewähren möchten. Denn die persönlichen Beziehungen, die Sie vor einem Jahr einzuleiten so gütig waren, haben in meinem Leben mehrfach Epoche gemacht.
Mit den herzlichsten Grüssen
Ihr ganz ergebener
W Ostwald