Reimer, Ernst

Ernst Reimer an Ernst Haeckel, Berlin, 22. Oktober 1868

Berlin den 22. Octob. 1868

Mein lieber Schwager

Dein freundlicher Brief vom 19ten dieses Monats mahnt mich, daß ich mein drei Wochen langes Vorhaben nun nicht noch weiter verschiebe und vertrödele, sondern Dir hiermit zu Deinem Stammhalter und den soweit glücklich überstandenen Aengsten und Sorgen um Deine liebe kleine Frau von ganzem Herzen und treulichst gratulire.

Daß die junge Mutter (vom jungen Vater gar nicht zu reden) ihren kleinen Burschen für den prächtigsten und besten auf der Welt hält ist nur natürlich, jedes Elternpaar hat eben seinen eigenen Geschmack, aber wir gönnen Euch lieben auch in aller Wahrheit und von ganzem Herzen, daß auch von Unparteiischen Euer Kerlchen || also taxirt wird.

Ein sehr lieber Gedanke ist mir jetzt immer, daß unsere liebe und allerbeste Schwiegermutter ihr jüngstes Enkelchen so ganz und ohne Unterbrechung (anders als bei unseren Kleinen) genießen, sich an ihma b erheitern und erfreuen kann.

Die beiden Exemplare Deiner Schöpfungsgeschichte besorge ich Dir bestens. Das Buch wird weit besser verlangt als seiner Zeit die Morphologie, freilich fast gar nicht fest, nur à condition, so daß ein Schluß auf die Absatzfähigkeit des Buches sich noch gar nicht ziehen läßt.

Die Leute übrigens, die Dir, wie Du mir mittheilst, darüber zustimmende und anerkennende Briefe schicken, solltest Du ernstlich bei Wort und Ehre nehmen, und sie ersuchen, sie möchten doch auch mal || mit ihrer Anerkennung vor die Oeffentlichkeit treten und mit offenem Visir sich zu Deiner Farbe bekennen; denn solche die sich’s schüchtern, vorsichtig und mit direkten zustimmenden Briefen genügen lassen, und zu einem Uebrigen die Courage nicht haben, scheinen mir Deine wohlwollendsten Freunde nicht zu sein; da ist Dein wirklicher Freund Ernst Reimer doch weit besser, obschon er schlecht genug ist, Dir wegen Deines Super-Darwinismus (den Darwinismus in allen Ehren) eine ordentliche wissenschaftlich-kritische Abkanzlung wünscht; doch darfst Du deshalb nicht etwa glauben, meine Antipathie gegen Vieles in Deiner Schöpfungsgeschichte möchte mich zu einer Saumseligkeit im Vertrieb Deines Buches verleiten, nein im Gegentheil Du mußt wissen, daß wir für die Verkäuflichkeit| und das Bekanntwerden Deiner Schöpfungsgeschichte fast mehr gethan haben als für unsere uns liebsten Bücher. Uebrigens hoffe ich zuversichtlich, Du wirst mir wegen meiner Antipathie nicht gram werden, sondern Dir mit allem Recht sagen, laß ihn antipathisiren, er versteht ja nichts von der Sache und bleibt darum doch mein lieber Schwager.

Nun grüße mir Deine liebe Nelke recht sehr, bestelle ihr am 26ten meine schönsten Gratulationen und bestelle ihr sie möchte in der Bewunderung ihres Jungen sich nicht ihre Schwiegermutter zum Vorbild nehmen, denn daß [!] wäre zu komisch.

Grüße auch die Geheimste Hofräthin und die Möglichmacherin Clara von

Deinem treuen Schwager

Ernst Reimer.

a korr.: aus: ihm; b gestr.: erf

 

Letter metadata

Author
Recipient
Dating
22.10.1868
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 21046
ID
21046