Wilhelm Olbers Focke an Ernst Haeckel, Bremen, 9. November 1890

Stein. Kreuz 2a, Bremen,

9 November 1890.

Mein lieber alter Freund!

Herzlichen Dank für die Uebersendung Deiner Algerischen Reiseerinnerungen, die ich mit Vergnügen durchgelesen habe. In manchen Situationen konnte ich mir Dich lebhaft vergegenwärtigen. In früheren Jahren habe ich mir öfter die Karte von Algerien genau angesehen und dabei allerlei Reisepläne im Kopfe erwogen, aber meine Lebensverhältnisse gestatteten mir doch niemals die Ausführung eines solchen Ausflugs.

Während des letzten Jahres habe ich neben den Berufsarbeiten mancherlei durch meinen Umzug und durch Familienangelegenheiten zu thun gehabt; die verfügbare Zeit wurde || ganz durch die Herausgabe eines Sammelwerkes über Bremen in naturgeschichtlicher und medizinischer Beziehung in Anspruch genommen. Diese Schrift ist den Naturforschern und Aerzten bei der diesjährigen Versammlung überreicht worden. Jetzt giebt es noch mancherlei nachzuholen, was im Sommer liegen geblieben ist.

Es wäre möglich, daß ich nächstens in eine nähere Beziehung zu Jena träte, indem eine meiner Töchter dort vielleicht ihr Pensionsjahr verleben wird. Frau Dr. Schnetger, die mir schon früher empfohlen war, hat ihr Erziehungstalent, wie ich höre, bisher mehrfach an mehr oder minder abnormen Kindern bewährt, die geistig schwach oder unrichtig behandelt waren oder aus unglücklichen Famili-||enverhältnissen stammten. Sie wünscht jetzt zu weniger schwierigen erzieherischen Aufgaben überzugehen. Frau Direktor Passow hat uns die Dame sehr empfohlen und wenn uns von anderer Seite dieses Urteil bestätigt wird, werden wir uns wohl dazu entschließen. Solltest Du zufällig in der Lage sein, mir irgend eine wesentliche Auskunft in günstigem oder ungünstigem Sinne zu ertheilen, so würdest Du mich sehr verpflichten. Die betreffende Tochter ist ein sehr bequemes Kind, stets willig und herzensgut und sanft, auch nicht ohne Interessen, aber etwas langsam und indolent unter älteren und jüngeren Geschwistern, die sich mit mehr Nachdruck geltend zu machen wissen. ||

Im laufenden Jahre bin ich bisher nur etwa 3 oder 4 Tage von Hause fort gewesen, habe aber während eines solchen Ausfluges leider den Besuch Deines Bruders versäumt. Daß Dich die Ausstellung oder gar die Naturforscherversammlung hierher locken würde, habe ich nicht geglaubt, habe aber doch Freund Dreier den besten Erfolg gewünscht, als er Dich einlud. Meinem eigenen Hause, in welches ich erst so eben eingezogen war, traute ich noch nicht recht die erforderliche Behaglichkeit zu, um Gäste darin aufnehmen zu können. Schließlich wurde das Haus denn doch fertig, auch im Innern, so daß ich mich zuletzt doch noch zur Aufnahme irgend eines Ehepaares oder einzelnen Herren meldete. Es kamen Vater und Tochter – und es ging auch, allerdings mit Ausquartierung einer eigenen Tochter.

Den Deinigen bitte ich mich in freundliche Erinnerung zu bringen. In alter Freundschaft gedenkt Deiner

Dein W. O. Focke.

Brief Metadaten

ID
1863
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
09.11.1890
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,0 x 22,4 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 1863
Zitiervorlage
Focke, Wilhelm Olbers an Haeckel, Ernst; Bremen; 09.11.1890; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_1863