August Weismann an Ernst Haeckel, Freiburg, 12. – 19. Juli 1866

Freiburg

12 Juli 1866

Lieber Freund!

Den Versuch wenigstens will ich machen, ob ein Brief bis zu Ihnen hindurchdringt in dieser verwirrten Zeit!

Zuerst recht herzlichen Dank für Ihre Glückwünsche. Möchte ihnen doch erfüllende Kraft inwohnen u. dieses schöne Glück langen Bestand haben. Ich könnte es brauchen oder vielmehr ich bedarf es, denn ich wüßte kaum zu sagen, wie es ohnedies jetzt mit mir aussähe, der ich immer noch von jeder Thätigkeit zurückgehalten werde durch meine Augen. Leider haben Sie aus meiner schon vor 2 Jahren beendigten Corethra-Arbeit nicht den richtigen Schluß gezogen. Ich bin immer noch so weit zurück, daß selbst Lesen noch nicht möglich ist.

Im Frühjahr war ich in Genua, natürlich nicht in wissenschaftlicher Absicht, sondern nur um mir das herrliche Mädchen zu gewinnen, die || jetzt meine Braut ist. Ich hatte sie schon als halbes Kind gekannt, aber seit Jahren nicht mehr gesehen. Nun hoffe ich einen Theil der Ferien mit ihr zusammen zu sein auf dem a Sommersitz ihrer Ältern am schönen Bodensee in der Nähe von Lindau. Sollte ihr [!] Weg Sie dort in die Nähe führen, dann würden Sie mir eine sehr große Freude machen wenn Sie mich auf dem „Lindenhof besuchten, ich werde Anfang August hingehen u. voraussichtlich den ganzen Monat dort bleiben. Von Lindau ist erb nur ½ Stunde entfernt.

Auf die Freude, gemeinsam mit Ihnen am Mittelmeer zu arbeiten, muß ich natürlich für diesmal verzichten. Wer weiß, ob ich nicht für immer darauf verzichten muß! Zwar sagen sie Alle: es wird wieder gut, es muß wieder gut werden, aber mir geht sehr oft die Hoffnung aus. Schon 2 Jahre u. noch keine wesentliche Besserung! Bitte lassen Sie dies unter uns gesagt sein! Solange ich noch hoffen kann, möchte ich mein Elend möglichst || wenig bekannt wissen; sollte es dahin kommen daß ich eignes auf [!] Arbeiten für immer verzichten muß, so erfährt es die Welt noch früh genug. Mir schaudert bei dem Gedanken, da ich mich mit so viel Mühe u. Entsagung zu dieser Laufbahn hingearbeitet habe, u. mich sehr glücklich in ihr fühlte, da ich das Bewußtsein hatte, mit d. Zeit Etwas in ihr leisten z. können! Sie werden Sich wundern, daß bis jetzt noch kein Wort über die jammervollen Zustände unseres Vaterlands in diesem Brief steht. Nach dem, was wir in Jena über politische Ansichten gesprochen haben, kann ich voraussetzen, daß wir auch jetzt in allem Wesentlichen harmoniren, sonst würde ich lieber schweigen. Der kleinliche Haß gegen das Partheiregiment in Preußen muß jetzt schweigen – ob man den Krieg gewünscht hat, oder nicht, jetzt kann man als Deutscher nur auf der Seite Preußens stehen u. kann nur den einen Wunsch haben, daß die süddeutschen Sonderbündler möglichst bald ihren Frieden || mit Preußen machen werden.

19 Juli.

Der Brief blieb seither unvollendet, die Dinge sind inzwischen bedeutend vorgerückt. Meiner werthen Vaterstadt (Frankfurt) gönne ich die preußische Invasion vollständig, sie, wie noch viele andre deutsche Städte können jetztc lernen, daß mit dem gemüthlichen Schwätzen allein Nichts geholfen ist! Hoffen wir, daß Alles so weiter geht u. daß endlich unser Vaterland seine politische Neugestaltung mit dem Centrum Preußen erlebe. Wenn nur der Staat da ist u. die polit. Existenz gesichert ist, so wollen wir uns die innere Freiheit schon erkämpfen trotz aller preußischen Junker!

Auf Ihre neueste Arbeit bin ich außerordentlich gespannt, sie [!] lassen Sich hoffentlich nicht durch die Politik darin hemmen, ich wenigstens würde mich jetzt, falls ich es könnte, mit doppelter Energie in die Arbeit stürzen, um nicht ganz von der politischen Aufregung absorbirt zu werden.

Für Ihre interessante fossile Rhizostomide herzlichen Dank!

Mit besten Grüßen (auch an Gegenbaur!)

Ihr

treu ergebner

August Weismann

Unsre Vorlesungen gehen ungestört fort, überhaupt ist es hier sehr ruhig, nur viel Flüchtlinge aus Frankfurt etc.

a gestr.: L; b korr. aus: es; c eingef.: jetzt

Brief Metadaten

ID
16441
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Großherzogtum Baden
Datierung
19.07.1866
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,1 x 22,8 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 16441
Zitiervorlage
Weismann, August an Haeckel, Ernst; Freiburg im Breisgau; 19.07.1866; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_16441