Weber, Victor

Victor Weber an Ernst Haeckel, Halle, 13. Februar 1853

Halle, den 13/2 53 Abends 10 Uhr.

Mein einziger, heißgeliebter Ernst!

Zwar habe ich eigentlich 2 Ernste, einen in Würzburg, den andern in Merseburg, indessen heißt nur der eine Ernst, der andere ist und wird’s bleiben: der kleine Weiß. Ich schreibe Dir, (nehmlich dem Würzburger) aufgestanden vom Ausarbeiten eines Geometrisch analytischen Heftes, zu dessen Fortsetzung ich mich hingesetzt, nachdem wir uns durch einen großen Nationalbreu von Kaffee für die auf einen gefährlich glatten mit Schnee- und Eisatomen bekitzelt werdenden Spatziergange erlittenen Strapazen und Leiden, am warmen Ofen in voller Harmonie bei ausgeleertem Brodschrank entschädigt hatten um dann mit (frisch frei fröhlich fromm)eren [!] Geiste daran zu gehen, den schuldigen Brief an Dich zu schreiben. Allein ich bin jetzt so eifrig in meinen Heftsarbeiten daß ich glaubte das Nützliche dem Angenehmen vorziehen zu müssen. Zuerst mußt Du mir verzeihen, daß ich vielleicht mit meinem letzten Briefe Dich betrübt habe, indem ich da von lauter katzenjämmerlichen Sachen schrieb; doch lag mir damals die Sache zu sehr am Herzen, als daß ich sie Dir, meinem ersten Freunde, hätte verschweigen können. Der Trieb ist eine Qualität des Widerspruchs, vor dem Widerspruch befand sich der Geist in der Einheit, nach ihm erst recht. 1 [Zeichnung verschlungener Linien] 1 (Ich höre Logik). So wars mit mir. Anfangs war ich einig befand mich in voller Harmonie, später entstanden allerlei Widersprüche und Zweifel, doch sucht ich sie immer zu umgehen, mich gleichsam selbst zu betrügen. Bis sie endlich als ich den letzten Brief an Dich schrieb zur vollsten Blüte kamen. Ich glaubte a es nicht ertragen zu können, doch kamen einige Tage der Ruhe, ich betrachtete jetzt die Sache mit voller Ruhe und gefiel mir gleichsam auch das Hineinzuversetzen und zu quälen. Und siehe da! Ich überwand mich, ich hatte eingesehen daß Mangel an Büchern ein Hauptgrund des Zwiespalts war, ich faßte den Entschluß Schulden zu machen. Ich ging hin zum || Buchhändler. Er bestellte mir den Lübsen analytische Geometrie und nachdem er am 21/1 gekommen war, tranken wir beide daß wir (denn auch Hetzer war es) wieder fest waren, 2 Schnäpse. Es brachte mir jetzt ordentlich Vergnügen das Geld los zu werden, was ich noch hatte, besuchte regelmäßig meine Halloria wo ich 1 oder 2 Kännchen Lichtenhainer (bei Jena) trank. – vermehrte aber auch meine Bibliothek. Als ich beim Buchhändler nach einem Buche frug, fand Hetzer einen Cotta Briefe über Kosmos daliegend, 3 Bände antiquarisch aber ganz neu noch, der eine nicht mal aufgeschnitten. Herr Schmid, was kosten diese Bände? 4 rhl Genommen! Hetzer hat den ersten und 3ten, ich den 2ten (200 Seiten) von Prof Schaller. Jetzt habe ich mir auch noch den 4ten und letzten, wieder von Cotta geholt. Dann habe ich noch den Regnault Chemie und den kleinen Müller Physik. – Wie schon gesagt, ochse ich jetzt wüthend, thut aber auch noth, da ich noch das ganze Jahr auszuarbeiten habe gegen 20 Bogen, analytische Geometrie ebensoviel Differential und Integralrechnung. Daß Prof. Sohncke der beste Mathematiker hier gestorben ist, habe ich wohl schon geschrieben, es ist dies der größte Schur den er mir und manchen andern thun konnte, ich hatte bei ihm angenommen, nun liests zwar Rosenberger fertig aber Sohncke war Sohncke, wenn er auch manchmal seinen Kümmel trank, ich weiß noch einige andre, die das gleiche thun.

Als die Pennäler in Merseburg schrieben hat uns auch der kleine Weiß besucht und zwar auf 2 Tage. Wir haben ihn bei der Gelegenheit seinen Eilenburger Weihnachtsstolln helfen aufzehren; er hatte sie herübergebuckelt. Die erste Nacht, es war kalt, ich wollte meine Decke nicht hergeben, hat er nachdem wir ihn mit Gewalt bei Füßen und Kopf resp. Ohren in die Kammer geschleift hatten, bei mir geschlafen. Ob ich ihn nun aber zu sehr sich mit der Wand zu assimiliren gezwungen hatte, oder was der Grund gewesen sein mag, kurzum er zog es andern Abends vor, bedeckt mit allerlei Schlafröcken Hosen u.s.w. unter dem Rücken || eine Lage Löschpapier, auf dem famosen Kanapee zu logiren. –

Natürlich führten wir ihn auch in die Halloria und nachdem er einige Schlucke des daselbst fließenden b Bierstoffes getrunken und den Witz um ihn her, auch die, schöne Lotosblumenkelchgeäugte, schöngewimperte, schöngehaarte, schöngehüftete, gliederzarte, die alle Begierde erwidernde, am Bücherlesen sich weidende die strahlende Frau Edelstein gesehn, sprach er die geflügelten Worte: Hört, hier ists gut sein! Wir wollens mit der zweiten Füllung versuchen.

Doch jetzt muß ich mich zu Dir wenden, den Zweck meines eigentlichen Schreibens oder der eigentliche Zweck meines Schreibens ist natürlich der 16te Februar Dein Geburtstag. Hier muß ich gestehen, daß mir dieser schon lange Sorgen gemacht hat. Nachdem Du an Weihnachten wieder mich durch ein so schönes Geschenk zu neuem Dank verpflichtet hattest, durfte ich ihn nicht vorübergehen zu lassen [!], ohne Dir etwas als Geburtstagsgeschenk zu schicken, doch was? Nach vielem Hin und Her sinnen verfiel ich dann endlich auf das letzte Mittel auf Zeichnungen, wobei ich freilich die kühne Voraussetzung mache, daß sie Dir auch Freude machen, da sie anderweitig nicht nutzen können. Nun hatte ich neulich wieder 3 Vorschriften von Naumann jede doppelt gezeichnet und sie dann mit Weiß hinübergeschickt. Dieser war aber so schlau sie 8 Tage drauf durch Hetzer nicht sondern bloß neue Vorschriften herüberzuschicken, so daß ich sie gar nicht hier habe. Die neuen (2) sind blos Vordergrundstudien z. B. in der Größe und Art [Zeichnung Rasenstück] So sehe ich mich also wieder genöthigt auf Deine Geduld zu bauen und Alles zu verschieben bis Du selbst kommst. Dies geschieht doch noch, mein theuerster Ernst und dann doch auch länger als eine Nacht?

Den Sommer in Jena habe ich vor der Hand an den Nagel gehängt wo er wohl bis in die Ewigkeit hängen wird. Was ich eigentlich dort wollte, wüßte ich nicht namentlich da jetzt nicht einmal Schloemilch mehr da ist. Dafür hatte sich, da doch wenn ich Burmeister, Germar und Erdmann schon gehört hätte, hier eigentlich nichts mehr ist, der Gedanke eingenistet nach Leipzig zu gehen. Nur kommen || mir überall, allgemein menschliche d. h. geldliche Angelegenheiten dazwischen, da hier mir nehmlich die Honorare gestundet sind, was eine sehr vortreffliche Einrichtung ist.

Bei Schlechtendal fängt es jetzt inzwischen an etwas interessant zu werden. Mit Marsilea Isoetales, Salvinia Pilularia, Azolla magellanica (ein sehr wunderliches Dings, die er uns alle getrocknet zeigte, sind wir fertig und haben nun die Laubmoose angefangen. Hier zeigte er uns wieder prachtvolle Sammlungen getrockneter Moose. 2 starke Bände amerikanischec von einem reichen Kerl gesammelt, höchst elegant ausgestattet, trotz der manchmal fast mikroskopischen ganzen oder theilweisen Pflanzen sah man nicht Spur von Gummi und dergl. Mit diesem Werk hat der edle Sammler blos Geschenke gemacht.

Über meine letzten Zeichnungen hat Naumann, obgleich ich mir alle Mühe gegeben hatte mir keine zu geben, dennoch d ein ungünstiges Urtheil gefällt. Angst und wieder Angst. ich weiß nicht woran es liegt. Doch, fast hätte ich das Wichtigste vergessen; Mittwoch also ist Dein Geburtstag, ich kann, wie gesagt, sogern ich auch den Brief mit einem Packet versehen hätte nichts, als wie der Alte in unsrer Entlassungsrede, den Segen des Himmels auf Dich herabreißen, wenn es anders ginge, und nur wünschen, daß alle Deine Wünsche, wenn sie Dir anders zur Wohlfahrth gereichen, erfüllt werden möge und Du zu Ostern gesund und froh heimkehren mögest. Bis dahin lebe recht wohl und wenn es Mittwoch ist, denke an mich, der ich dann von 5–6 Abends in der Halloria einen Humpen Lichtenhainer auf Dein Wohl leeren werde, Handschlag und Bruderkuß! Dein Victor.

[Randnotiz S. 1]

Wenn ich diesmal schreibe: ich bin müde und die Lampe geht aus so ists nichts Phrase, es ist ½12. Hetzer liegt neben mir auf dem Sopha und begleitet meine Schreiben mit einer geschnarchten Ouvertüre. Lebe wohl!

Weißnis parvulas animo volvit iter in magnorum virorum montes suscipiendum und will mich mit aller Gewalt dazu bereden.

[Randnotiz S. 2]

Zu meinem Erstaunen fand ich kein Briefpapier mehr, Du wirst also die ganze Lage dort haben da ich sonst an Niemanden geschrieben habe.

[Randnotiz S. 4]

Gandtner hat noch nichts von sich hören lassen. Schicke oder bring mir doch seinen Brief mit.

Was Dein Oxen im Swinden betrifft, so glaube ich daß Dir dies nicht ebenviel helfen und blos ermüden wird. Vortheilhafter ist es glaube ich, wenn Du die Functionslehre Binomischer Lehrsatz was wir zuletzt bei B. durchnimmst, so wie auch Trigonometrie und etwa im Lübsen die Einleitung durchliest. Dies ist ein gemüthliches Buch.

a gestr.: [da]ß; b gestr.: Gläschen; c gestr.: r; d gestr.: der; e gestr.: e

 

Letter metadata

Author
Recipient
Dating
13.02.1853
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 16242
ID
16242