Erna Friederici an Ernst Haeckel, Berlin, 18. November 1917
a Berlin, Bülowstr. 73b
18. Nov. 1917.
Hochverehrter Herr Professor Haeckel,
kürzlich war ich wieder einmal im Monistenbund. Dr. Magnus Hirschfeld sprach über Zeugung und Vererbung, erwähnte dabei Ihr neuestes Buch: Christallseelen und las einige interessante Sätze daraus vor. Einige Zeit später erschien dann sein dbz. Artikel im Tageblatt.
Nun kann ich nicht umhin, meiner Freude || Ausdruck zu geben, daß Sie trotz Ihres hohen Alters noch so frisch sind, ein Buch zu schreiben, dasc zu lesen gewiß ein hoher Genuß sein wird. In den Weihnachtsferien, die in 14 Tagen an unserer Schule beginnen, werde ich mir das Buch kaufen und in Ruhe darin vertiefen.
Nur höre ich aber, leider, daß Ihre Enkelin geheiratet hat und Sie nun recht einsam sind. Freilich Sie sind kein Mensch, der sich je langweilen könnte, aber die || Lieben, welche Sie verlassen mußten, mögen Ihnen doch recht fehlen. Doch tragen Sie das Los mit ungezählten Mitmenschen, die dieser furchtbare Krieg einsam gemacht hat. Glauben Sie an einen baldigen Frieden? Wir hier nicht, vielmehr wird die Wand, welche die Zukunft verdeckt, immer schwärzer und drohender. Wie mag unser schönes Italien jetzt aussehen – wird es sich je von den Verwüstungen erholen? Jene Tage vom September 1904d stehen noch so || leuchtend und rein vor meiner Seele, als seien nur wenige Monde und nicht dreizehn Jahre seitdem vergangen. Wer hätte damals an einen solchen Krieg gedacht, als die Abgesandten der Nationen sich verbrüderten, verbunden durch ein gemeinsames Ideal! Damals ahnte ich den Weltfrieden in absehbarer Zeit – wie weltenfern ich dieses herrliche Ziel jetzt! – – –
Für meine Mutter und mich gehen die Tage in rastloser Arbeit hin und das ist gut, denn es bleibt zum Nachdenken keine Zeit.
Mit innigen guten Wünschen verbleibe ich in steter Verehrung
Ihre dankbare Erna Friederici
a egh. eingef. von EH: W. 59; b egh. eingef. von EH für gestr.: 73; c korr. aus: daß; d korr. aus irrtüml: 1914