Johannes Walther an Ernst Haeckel, Neapel, 22. Mai [1885]

Neapel, den 22. Mai

Hochverehrter Herr Professor!

Von dem schönen Golf sende ich Ihnen meine verehrungsvollen Grüße und freue mich, daß ich Ihnen über die bisherigen geologischen Studien Gutes berichten kann.

Leider zog der Frühling hier sehr spät ein, und erst seit kurzer Zeit haben wir beständigeres Wetter. So waren auch anfangs meine Arbeiten mit dem Dampfer oft gestört und verhindert, doch habe ich etwa 600 Grundproben und eine Reihe Dredgungen schon machen können. Da ein kleineres Gebiet gut zu durch-||forschen bedeutungsvoller erschien, als viele Einzelbeobachtungen, wählte ich zum Ausgangspunkt meiner Untersuchungen die submarinen Kalkplateaus, Seccen, welche durch ihra reiches Thierleben ein erhöhtes Interesse beanspruchen. Dohrn erwirkte vom Marineminister, daß ein Schiffsleutenant hierher beordert wurde, wir bekamen von Genua alle astronomischen und Lothapparate und haben die beiden Hauptseccen, in einer großen Reihe von Beobachthungen untersucht. Jetzt bin ich dabei die Grundarten kartographisch einzutragen und sowie die weiter bestellten Apparate anlangen, beginne ich mit einer größeren Reihe von Dredgungen auf demselben Gebiet um nun die einzelnen Beobachtungspunkte zu verbinden. Die weite Verbreitung von Detrituskalken und das gänzlich heteropische Auftreten derselben mitten im Schlammgebiet sind || mir als Schüler von Mojsisovics besonders wichtig. Bei den Beobachthungen hatte ich mich etwas überanstrengt, wir hatten hohe See und ich bekam Fieber und allerlei Unwohlsein, so daß ich endlich auf den Rath des Arztes nach Capri ging um mich zu erholen. Ich wollte bummeln und eifrig aquarelliren – allein aus beidem wurde nichts, denn ich fand dort soviel zu studiren, daß ich meinen Aufenthalt auf 10 fleißige Tage ausdehnen mußte und den Hammer kaum aus der Hand legte, die eigentlich den Pinsel führen wollte. Ganz Capri ist aus organischen Kalken, Korallen, Rudisten und Detritus aufgebaut. Ich fand an mehreren bisher unbekannten Stellen einen grünen Sandstein mit vielen Fossilien und werde nun im Herbste sie bestimmen um ihre Altersbeziehungen zum Felsenkalk festzustellen und entweder die Riffnatur Capris zu beweisen, oder doch die Inselnatur zu Beginn der Tertiärzeit. ||

Auch die tektonische Struktur der Insel als Grenzscheide des synklinalen Golfes von Neapel und des antiklinalen Golfes von Salem konnte ich feststellen und damit eine höchst interessante und neue Thatsache eruiren. Daß ich schließlich in 200m Höhe noch Lithodomus in ihren Löchern fand ist eine ganz hübsche Beobachtung. Auch ein Bryozoenlager (in jenen grünen Sanden am Fuße des Tiberiusfelsens) von 3 m Mächtigkeit hat mir aufzufinden viele Freunde bereitet.

Ein intimer Freund, früher Assistent von Zirkel (mit dem ich mit Chun einmal bei Ihnen war) hat mich hierher begleitet und arbeitet mit mir, indem er hauptsächlich chemische Untersuchungen über Kalk, und || Dolomitbildung anstellt und schon recht gute Resultate erzielt hat. Ich selbst hatte viel Interesse für die Frage, aber bin nicht Chemiker genug um Analysen ausführen zu können. So habe ich meinen Freund für die Arbeit gewonnen und freue mich, daß er bisher schon soviel herausgekriegt hat.

Mit großen Freude erfuhr ich von Dr. Lang, daß er nach Jena kommen wird, ich habe ihn so liebgewonnen und würde mich doppelt freuen, wenn ich ihn in Jena wiederfinden sollte, und gratulire auch Ihnen, wenn Sie an ihm eine Kraft gewinnen, die Ihnen einen Theil der Arbeit abnehmen kann und Ihnen dadurch mehr Freiheit für Ihre specielleren und allgemeinen Arbeiten giebt.

Mit großer Spannung sehe ich der Zukunft entgegen und der || Berufung des neuen Geologen. Der Tod meiner lieben einzigen Schwester hatte mich so erschüttert, daß ich vor meiner Abreise nicht noch einmal nach Jena kommen konnte um Ihnen und Herrn Prof. Eucken für Ihre freundlichen ermuthigenden Briefe persönlich zu danken. Vielleicht kann ich nach meiner Rückkehr, im Juli, meine Absicht ausführen.

Mit dem Ausdruck meiner größten Verehrung und Dankbarkeit bleibe ich

Ihr

treuergebener Schüler

Johannes Walther

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Brief Metadaten

ID
15835
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Italien
Entstehungsland zeitgenössisch
Italien
Datierung
22.05.1885
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
6
Umfang Blätter
4
Format
12,4 x 20,8 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 15835
Zitiervorlage
Walther, Johannes an Haeckel, Ernst; Neapel; 22.05.1885; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_15835