Richard Semon an Ernst Haeckel, Prinz-Ludwigshöhe, 23. Dezember 1902

Prinz-Ludwigshöhe, 23/XII 1902

Sehr geehrter Herr Professor.

Meine Frau und ich haben sich ausserordentlich gefreut, wieder einmal direct etwas von Ihnen zu hören, wiewohl leider die Nachrichten, die Sie uns von sich und den Ihrigen schrieben, nur zum Teil gute sind. Wir hoffen nur, dass sich das Leiden Ihrer Frau Gemahlin jetzt wieder so weit gebessert hat, dass sie die Feiertage ausser Bett verbringen kann.

Ausserordentlich betrübt und ergriffen hat es mich, von der Entwickelung zu hören, die sich mit Herrn v. Ritter abgespielt hat. Wunderlich und || unberechenbar erschien er ja bei allen seinen vortrefflichen und edlen Eigenschaften immer. Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange, der aber erst durch Sie auf den rechten Weg geführt worden war, seine Reichtümer zum allgemeinen Besten wirklich fruchtbringend zu verwerten. Ohne Ihre Führung hätte er doch dieselben Summen in Myrrholintincturen, neuen Stiefelmodellen und ähnlichen Kulturfortschritten in den Wind gestreut. Es ist traurig, dass er gar kein Gefühl dafür zu haben scheint, welchen Dank er seinerseits Ihnen schuldet, er der doch lediglich Ihnen den Ruhm verdankt, der einzige wissenschaftliche Maecen Deutschlands zu sein. Dass Sie bei aller Anerkennung seiner Verdienste ihm || in einer so persönlichen Frage wie der Feier Ihres 70. Geburtstages nicht zugestehen wollen, über Ihre Person wie über ein Object zu verfügen, ist doch nur Ausübung eines der angeborensten Rechte des Menschen, ein Recht das durch keine Verdienste und keine wohlmeinende Absicht eines Anderen verkümmert werden kann. Hoffentlich sieht er das mit der Zeit selbst noch ein. Die törichten und höchst ungerechten Worte, die er gebraucht hat, rechnen Sie nur seinem Alter und seinem sonderbaren, anormalen Temperamente zu Gute.

Ich freue mich sehr zu hören, dass das verflossene Jahr für neue Ausgaben für Sie ein so fruchtbares gewesen ist. Wenn ich um etwas bitten darf, so wäre es die II. Aufl. der gesammelten Vorträge. Ich besitze dieselben überhaupt noch nicht. Für die Übersendung des H. || Schmidt’schen Aufsatzes über das Biogenetische Grundgesetz besten Dank. Er enthält eine vortreffliche Zusammenstellung und Klarlegung der Hauptakten eines Streites, von dem man später einfach nicht begreifen wird, wie er überhaupt entstehen und immer wiederanflackern konnte. Was das Acten-Fascikel betreffend die Herausgabe der Zoologischen Forschungs-Reisen anlangt, so bewahren Sie bitte dasselbe auf oder senden es mir zu, ganz wie es Ihnen am bequemsten ist.

Im Januar soll der Druck der II. Auflage meines populären Reisebuchs beginnen. Ich hätte kaum gedacht, dass es zu einer zweiten Auflage kommen würde. Das grosse Werk der Zoologischen Forschungs Reisen wird immerhin noch einige Jahre bis zu seiner Vollendung brauchen.

Wir freuen uns ausserordentlich auf die Aussicht, Sie im kommenden Jahr wieder einmal bei uns begrüssen zu können. Ihnen und den Ihrigen ein recht frohes Weihnachtsfest und glückliches neues Jahr wünschend und herzlichste Grüsse von meiner Frau beifügend

stets ihr treu und dankbar ergebener

R. Semon.

Brief Metadaten

ID
14993
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
23.12.1902
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
12,7 x 17,5 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 14993
Zitiervorlage
Semon, Richard Wolfgang an Haeckel, Ernst; Prinz-Ludwigshöhe (München-Solln); 23.12.1902; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_14993