Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 10. Januar 1875

Heidelberg, 10. Jan 75.

Liebster Freund!

Zum Eingange des ersten, etwas verspäteten Briefe im neuen Jahre Glück und Heil! So recht von ganzem Herzen, das jetzt etwas leichter ist, nachdem gerade zum Jahreswechsel meine 3 Kinder unwohl, und meine Frau durch schlaflose Nächte in ziemlich langer Folge überaus angegriffen waren. Das ist nun alles gut abgelaufen, und ich hoffe daß die Reste der Erkältung sich bald völlig verziehen werden. –

Und nun besten Dank für Deinen lieben Brief und das hübsche Buch mit dem Du mich überraschtest. Ich habe recht nette Sachen darin gefunden, und werde es als theures Andenken ansehen, als Erinnerung an manche gemeinsame Empfindung. Was hat man doch Schauderhaftes von N.s Tod gehört? Der Mann starb wie’s einem herzlosen Egoisten ziemt || und das war er für alle Fälle! –

Bei uns scheinen die academischen Dinge auf ruhigere Bahnen zu laufen als bisher. Nächsten Mittwoch ist Prorectorwahl, und da wird zum erstenmale nach langer Zeit Einhelligkeit zu Stande kommen, indem Fischer gewählt werden wird. Er wird es annehmen! Ich hatte ihm früher davon abgeredet, jetzt aber bin ich der Meinung daß das von ihm zu bringende große Opfer für unsere Sache nicht zu groß ist, und werde selbst zur Wahl gehen.

Die Herren beginnen eben einzusehen daß es auf dem bisherigen Wege nicht länger fortgehen kann, und auch sonst bestehen Zeichen daß man zur Umkehr blasen will. Bedauern werde ich freilich F. immerhin, denn es ist ein verwünscht zeitraubendes Amt, F. mit dem ich wöchentlich einmal zu Berge ziehe, war durch Deinen Brief sehr erfreut. Von einer Berufung nach L. ist er jetzt stille, und ich hoffe auch, daß er nicht gehen wird, || wenn die Frage an ihn treten sollte. Daß man ihn von Carlsruhe her halten wird, halte ich für sicher. Doch sind die Dinge oftmals da ganz unberechenbar, das hat Kirchhoffs Behandlung gezeigt. Dessen Stelle nimmt Quincke an. Ob der Mann glaubt, dann auch K. zu sein? Als Mathematiker kommt Fuchs hieher. Der Wackere verlangte 12,000 Mk! Als man das über alles Maaß fand und sich bedankte, soll er gemeint haben: er thäte es auch billiger! O alter Ernst August!

Mein Jahrbuch wird mit einer von His und Braune zu edirenden Zeitschrift zu concurriren haben! Das ist mir recht erfreulich da dieselbe doch wohl den Gegenpol vertreten wird, und da kann es allmählich zu einer Klärung der Situation kommen, die nur gut sein kann. Auch Engelmann wird vielleicht einen Sporn bekommen. Wenn Du ohne der Jenaischen zu nahe zu treten, etwas ordentliches mir zuweisen kannst, so versäume es nicht. Was die Jenaische betrifft so bittet mich Fürbringer anzufragen ob seine Muskelarbeit || noch aufgenommen werden wird, oder ob ihr darauf verzichtet. Wenn Ihr Material für die nächsten Hefte habt, so werde ich selbstverständlich jene Arbeit sehr gerne für das Jahrbuch nehmen, denn es liegt F. auch daran daß die Publication nicht zu lange verzögert wird. Wird doch a auf den Fürbringerschen Grundlagen bereits da und dort fortgebaut. Bitte, schreibe mir also darüber wie es mit dieser Sache steht.

Da Du mit Deinem Vortrage beschäftigt bist, wirst Du nichts für mich haben. Aber, ich wiederhole es, denke an mich; ich hoffe, wenn auch nicht mit so prächtigen Waffen wie mein Freund Ernst, aber doch mit nicht allzuschartiger Klinge in den Kampf zu ziehen. – O. Hertw. Arbeit ist ein wahres Phaenomen! Ich habe mich ausnehmend darüber gefreut, und kann ihm ganz verzeihen, daß er meine Knochenarbeit mißverstanden hat. Es ist mir doch damalsb gar nicht eingefallen eine phylogenetische Einheit der Knochen c zu statuiren (obschon ich jetzt daran denke) sondern nur eine histogenetische, die allein einen Gegensatz gegen Kölliker etc. abgeben konnte. Lebe wohl! und empfange noch viele Herzliche Grüße von Haus zu Haus.

Dein C. G.

a gestr.: immer darauf; b eingef.: damals; c gestr.: ein Wort unleserlich gemacht

Brief Metadaten

ID
9994
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
10.01.1875
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,4 x 20,8 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9994
Zitiervorlage
Gegenbaur, Carl an Haeckel, Ernst; Heidelberg; 10.01.1875; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_9994