Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg 4. – 6. Dezember 1874

Heidelberg, 4. Dec. 1874

Lieber Ernesto!

Für die Zusendung des IV. Heftes der Jenaer Zeitschrift dankend, will ich in Ergänzung meines letzten Briefes Deinem Wunsche nachkommen und dich auf einige Holzschnitte Deiner Anthropogenie aufmerksam machen, die Du nothwendig ändern mußt. Fig. 41. ist mir ganz fremd, und soll wohl nur ein Schema sein, aber Du hast das nicht angegeben, so daß man glauben könnte es sei beobachtet. Der Holzschnitt nimmt sich zudem sehr roh aus. Fig. 83. bietet das Gehirn wie einen Liebigschen Kaliapparat gestaltet dar, und so sieht niemals ein Säugethierhirn aus. Wo ist denn die Beutelratte her? Sind die Jungen nicht viel zu groß um noch den Beutel aufzusuchen. Die Zeichnung auch anderer Holzschnitte kommt mir sehr roh vor. Vergleiche doch nur einmal, und sieh’ Dir die Ausführung anderer Holzschnitte an, zb. die aus Köllikers Entwicklungsgeschichte resp. Bischoff entnommenen. Ich denke das Buch ist’s werth daß auch auf die illustrative Ausstattung Rücksicht genommen wird, und Engelmann thut’s ja. || Die Lorent’sche Lection lege ich bei. Es war mir die Kenntniß davon um so interessanter als dieser Autor vor einiger Zeit sich bei mir gemeldet hat, um hier arbeiten zu können. Nächstens wird er kommen, und da werde ich so frei sein ihm gelegentlich ein Licht aufzustecken, das seine Anmaßung beleuchten soll. Jene Äußerungen sind übrigens weniger seine, als Herrn Waldeyers Ansichten, der mir eine in jeder Hinsicht sehr zweideutige Rolle zu spielen scheint. Diese Sorte von Menschen ist schlimmer als die offenen Gegner.

Doch von der Bremer Vorlesung zu einem anderen. Neulich wurde ich bei einem Besuche Carlsruhes angegangen ob Du nicht etwa für eine im Carlsruher Museum zu haltende Vorlesung zu gewinnen wärest. Es sind das „Reformvorlesungen“a, an denen die erste Gesellschaft Carlsruhes sich zu betheiligen pflegt. Von hier wie von Freiburg halten mehrere Professoren dort Vorlesungen. Von hier hat untere anderem Fischer zugesagt. Ich habe es unternommen bei Dir anzufragen, und kann zugleich sagen daß es auch im März noch ausführbar ist, da ich mir dachte daß Du im Winter b nicht herumreisen willst. So könntest Du das mit Deinem Besuche hier, auf den ich ohnehin rechne verbinden. Bitte als Dir das zu überlegen, und mir einen decretablen Brief darüber zu || schreiben. Mich soll’s freuen, wenn Du zusagen solltest. –

Bei unseren gegenwärtig sehr tristen Frequenzzuständen habe ich die Freude in der medizinischen Facultät bei weitem die meisten Zuhörer zu haben! Helm ist ein braver fleißiger Mensch, es fehlt ihm aber sehr an den Vorbedingungen zur Vertebraten Anatomie, so daß er mir manche Mühe macht, die andere nicht bereiten. –

Bitte, sage Hertwig, daß er mir seine Arbeit, so bald er kann senden soll. Die Tafeln können gleich angegriffen werden. Das Material für ein 1. Heft morphologische Jahrbücher habe ich dann glücklich zusammen! Hat Hertwig, wenn es sich bei ihm um Infusorien handelt, das neueste französische Buch von Fromentel & Co berücksichtigt, oder ist das Werk vielleicht c nicht der Rücksicht werth? –

Hoffentlich bist Du mit den Deinigen wieder vollständig wohl. Bei mir geht es gut. Dein kleiner Pathe gedeiht vortrefflich, und hat uns bis jetzt keine Sorge gemacht, indeß die beiden Töchter abwechselnd uns mit Erkrankungen beängstigten.

Herzliche Grüße von Haus zu Haus!

Stets dein treuer

CG.||

6/XII. 74.

Verzeih, Liebster, daß ich Dir den Brief ohne die Fig. beigabe schickte. Ich wollte andern Tags nachsuchen, und vergaß darauf. Uebrigens beanstande ich noch die 5. Hirnblasen. Es gibt nur 4. Das Ill. ist keine selbstständige Blase sondern nur der Vordertheil der Deckel der 4ten u. letzten Bl. = (Nachhirn). Zu dem ausgestandenen Brandschreck meine theilnehmenden Wünsche, und mein aufrichtiges Bedauern für Hartung.

Seebecks Abgang war mir nicht unbekannt. Sein Nachfolger, H. v. Liliencron war 55 Jenenser Prof. extraordin. Ob sie wohl eine glückliche ist? Ich halte S. für unersetzbar und L. für sehr wenig geeignet. Da d bin ich denn doppelt froh weg zu sein!

Fischer hat noch keine Berufung nach C. Doch wird sie kaum ausbleiben. Ob er sie annehmen wird, hängt wesentlich von der Art ab wie man ihn in C. behandeln wird. Ich denke er wird sicher gehalten werden. Wer an Leydig’s Stelle kommt, weiß ich nicht. L. sagte mir er würde keine Vorschläge machen. Ein Gerücht bezeichnete jüngst Kleinenberg (!hört!) als Nachfolger! Ich glaube Fürbringer hatte es wo gehört. Wegen Fürb. möchte ich Dir noch sagen, daß ihn Klette mit dem Referat über Dein Buch betraut hat, und er die Arbeit nicht übernehmen kann. Seine Gewissenhaftigkeit verbietet ihm nur so obenhin zu referiren, und zu einer gründlichen Besprechung fehlt ihm selbst die nöthige Orientirung, auch die Zeit, da er jetzt sehr mit Arbeiten überhäuft ist. Könnte Klette nicht Waldeyer bitten? Dem würde es ja vollständig passen da er so sehr zustimmte! Auch wegen des Farbe bekennen wäre es gut. Mir scheint der Mann sehr à deux mains zu arbeiten. In Straßburg ist man, wie ich genau weiß, von O Schmidt abgesehen, gar nicht descendenzlich gestimmt, und gewöhnlich singen sie dort ganz andere Lieder. || Also laß‘ Klette einmal dort anfragen. Du hast durch W’s Brief den besten Anlaß dazu. –

Deinen Brief habe ich soeben nach Carlsruhe spedirt, und werde mich sehr freuen, wenn die Sache zu Stande kommt, da sich vielleicht doch auch noch andere Folgen daraus abwickeln lassen werden. Vielleicht bist Du auch zu bestimmen nicht bloß ½ Tag, wie Du sagtest, sondern ein paar Tage hier zu bleiben, und wenn das Wetter bis dahin nicht schlimmer ist, als jetzt, so verlohnt es sich auch, Heidelberg einmal im Winter zu sehen.

Lebe wohl und sei herzlichst gegrüßt

von Deinem

CG.

a Korr. aus: „Reformvorfesungen“; b gestr.: sic; c gestr.: s; d folgt gestr. ist.

Brief Metadaten

ID
9992
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
06.12.1874
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
5
Umfang Blätter
3
Format
14,4 x 22,8 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9992
Zitiervorlage
Gegenbaur, Carl an Haeckel, Ernst; Heidelberg; 06.12.1874; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_9992