Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 8. Mai 1874

Heidelberg, 8 Mai 74

Liebster Freund!

Daß es mir die größte Freude war Dich hier begrüßen zu können habe ich Dir beim Kommen wie beim leider allzufrühen Scheiden gesagt, und daß es wirklich so war hast Du wohl selbst gesehen. Also sage ich Dir für diese Freude nochmals besten Dank und beklage nur daß Du nicht noch ein paar Tage, und mit diesen den vollsten herrlichen Frühling, den wir je gesehen, abwarten mochtest, was Deiner weiteren Erholung gewiß guten Vorschub geleistet haben würde. Auch für Deinen ersten Brief, wie für den zweiten dionysisch ausgestatteten danke ich bestens, und werde des letzteren kostbare Hülle, von der ich immer noch nicht weiß, wie ich dazu komme, in hoher Ehre halten.

Inzwischen haben wir unser Semester begonnen welches mir keine Veränderung brachte, da ich in beiden Vorlesungen dieselbe || Zuhörerzahl wie vorigen Winter habe. Für die älteren Semester wird ein Ausfall sein. Mit der Qualität der Zuhörer bin ich zufrieden, und hoffe, wenn ich einmal meine Anstalt ganz eingerichtet, auch mit der Quantität besser zu stehen. Für Deine Mittheilungen über die Napolitanische Gründung weiß ich nur die Antwort: Wie der Mann so das Institut! Uebrigens thut mir Müller recht leid, daß seine dritte zootomische Reise mit den früheren gleiches trauriges Schicksal hat. Ob das Amphioxus-Werk wohl fertig wird? Fast möchte mir scheinen daß die zoolog. Station früher sich in ein Kaffehaus umwandelt. Wenn die geleimten Regierungen sich nicht selber fragen, zu was sie das Geld hinauswerfen, so werden sie früher oder später doch darum gefragt werden, und dann ist’s wohl Alle mit den Subventionen.

Zur Eröffnung der Eisenbahn wünsche ich dem alten Jena alles Glück, und beklage nur daß es nicht schon 10 Jahre früher geschah, daß ich doch auch noch etwas von den Vortheilen hätte genießen können. Der Universität kommt es sicher zu Gute, und ich denke mir daß Ihr außer von der Leipziger Rückstauung auch von dem aufgeschlossnen Süden || profitiren werdet. Ich habe seit Du weg gingst mich an meine Anatomie gesetzt, und denke das auf drei Semester vertheilte Pensum gut fertig zu bringen. Vieles wird mir recht leicht, und ich sehe daß die 16 Jahre die ich zur Erwerbung und Verarbeitung des Stoffes aufwandte mir jetzt gut zu statten kommen. Ich beklage es daher nicht schon früher daran gegangen zu sein, zumal ich hier Anlaß erkenne mich bei meinen Vorträgen besser als in Jena vorzubereiten, und demgemäß auch leichter als dort arbeite. So nützt sich auch da der Ortswechsel aus.

Vor einiger Zeit hat mich Waldeyer besucht, gleichzeitig als Schultze hier war. Ich habe keinen erfreulichen Eindruck gewinnen können, und muß sagen daß ich mir vorher immer noch etwas besseres von ihm dachte. Grinsende Freundlichkeit und nichtssagende oder vielmehr falsche Complimente verfangen eben bei mir nicht.

Im übrigen geht es mir gut; ich bin nun auch von meinen Frühlingsschnupfen heruntergekommen, und sehe daß mir das hiesige Clima gut bekommt. Jede Woche wird ein tüchtiger Spaziergang gemacht, und auch sonst findet sich zu einem kürzeren Wege nicht seltener Anlaß. Könntest Du doch auch dabei sein! Wir hatten nach den schönen wahrhaft sommerlichen Tagen auch hier unseren || „Grünen Winter“ und mußten wieder zur Feuerung greifen. Erst seit ein paar Tagen ist es wieder milderes wenn auch unbeständiges Aprilwetter, aber alles, selbst die Eichen, haben längst ihren vollen Blätterschmuck angelegt. Meine Frau der es ganz gut geht, läßt Dich wie Deine liebe Frau herzlichst grüßen und dankt der letzteren vielmals für ihren freundlichen Brief, den sie wohl bald beantworten wird. Auch die Kinder denen Du soviel unverdiente Freude – übermäßige – gemacht erinnern sich mit Vergnügen Deines Besuches, von dem wir Alle nur wünschen daß er recht bald wiederholt wird. Und so lebe denn wohl, empfange für Dein ganzes Haus die besten Wünsche und behalte lieb Deinen

aufrichtig ergebenen

C.G.

Brief Metadaten

ID
9980
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Großherzogtum Baden
Datierung
08.05.1874
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,5 x 21,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9980
Zitiervorlage
Gegenbaur, Carl an Haeckel, Ernst; Heidelberg; 08.05.1874; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_9980