Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 14. Dezember 1873

Heidelberg, 14. Dez. 73.

Liebster Freund!

Nachdem endlich mein Grundriß erschienen ist vermag ich nicht ihn Dir denselben auf demselben Wege wie den Anderen zugehen zu lassen, sondern will ihm ein paar freundliche Worte mitgeben zum Geleite an Dich, damit auch darin unsere gegenseitigen Beziehungen einen entsprechenden Ausdruck finden.

Wie Du finden wirst habe ich mehr als in den Grundzügen die Hauptsachen betont, ich denke mir aber daß das sogar noch mehr nothwendig wird, und bei manchen § hätte ich bei der Correctur gerne manche Erneuerung eintreten lassen mögen zu Gunsten des Allgemeinen. Doch so ist’s einmal. Herr Semper oder Pemper wird freilich, wenn er zu einem dritten „kritischen Gange“ den Anlauf nimmt, dieses Buch noch weniger als vergl. Anatomie anerkennen und hat bereits von mir die Erlaubniß nach Herzenslaust Lufthiebe zu schlagen, und durch derartigen Zeitvertreib die Wissenschaft wenigstens mit Entdeckungen unbehelligt zu lassen. Es geht ja bei der letzteren ohnehin lustig genug zu. Cläuschens Brief hat mir die Kölliker’sche Logik recht lebhaft in’s Gedächtniß gerufen. Er folgt mit dem Semperschen Werke hiemit || retour, nachdem beide mich erheitert hatten. Für die übrigen Zusendungen danke ich bestens und bin ganz damit einverstanden wenn wir die Jenaische Zeitschrift als das Medium unserer Aufsatz-Austausches betrachten.

Den beiliegenden Aufsatz von Runge bitte ich für die Zeitschrift aufzunehmen, es ist eine ganz gute Arbeit, die meine Angaben erweitert, und mir für das Gliedmaßen-Problem recht förderlich ist. Von den Abbildungen habe ich 1/3 weggelassen, da ich dazu autorisiert war. Mehr konnte ich nicht entfernen ohne im Texte umfängliche Aenderungen vorzunehmen. Also siehe zu wie a Du die beiden Täfelchen unterbringst.

Von Hertwig habe ich eine größere Arbeit hier. Sage ihm gelegentlich daß ich sie ihm zu Weihnachten senden werde, eher habe ich keine Zeit zur Durchsicht.

Die Jenaer-Zeitschrift halte ich selbstverständlich; bitte also mir die Zusendung derselben zu besorgen resp. den Verleger damit zu beauftragen. Für das IV Heft des VII Bandes habe ich Dir 1 rℓ. gutgeschrieben.

Deine Infusorien-Abhandlung werde ich, wenn Du es mir nicht befiehlst nicht an K. geben. Dieser Mensch, mit dem ich übrigens äußerlich ganz freundlich stehe, ist so vollständig gegen unsere Richtung eingenommen, daß ich anstehe eine Perle vor die Sau zu werfen. Außerdem halte ich es für inopportun etwas zu thun was den Anschein einer Avance hat. Dieses unter uns. ||

Neulich ist Nuhns Entlassung von der Prorectur gekommen und mir damit eine große Erleichterung geworden. Meine Vorschläge bezüglich der künftigen Stellung des großen Mannes sind vorbehaltlos angenommen worden, und da N. vor seiner Beförderung zum Honorarprofessor so sehr entzückt ist daß er mich sogleich besuchte, besitzt Heidelberg zwei glückliche Menschen mehr!

Mit meinen Aenderungsplänen der Anstalt bin ich jetzt auch fertig, und denke, wenn der Architekt mich nicht spittelartig behandelt in den Weihnachtsferien meinen Bericht auszuarbeiten. Es war eine schwere Sache aus dem gänzlich verkommenen alten Gebäude etwas zu machen. Will einmal sehen ob es mir genehmigt wird, da die Kosten selbst der geringen Baulichkeiten sicherlich b höher belaufen werden als ich als ich mir gedacht hatte. Vorläufig werde ich die Zoologie über rein gar nicht incommodiren, die übrigens ein sehr stilles Dasein führt.

Zu Deinem Lehrerfolge meine aufrichtigste Theilnahme, und das umso mehr als Dein Auditorium weit bedeutender ist als das Leuckartsche in Leipzig im Verhältniß zur Gesammtzahl der Studirenden. Sein Colleg über Zoologie ist von etwas über 100 besucht, und den Darwinismus reißt er vor 200 Stud. herunter. Übrigens freue ich mich auch über Schwalbes Erfolg und hoffe daß man mich recht bald in Jena vergessen haben wird.

Von der His-Rauber-Affaire ist mir nichts bekannt geworden. Wissenschaftlich sind sie gewiß einander werth.

Ueber Delbrück contra Schleicher habe ich mich recht empört gefühlt. Es ist doch im hohen Grade || unanständig über Schleicher bei jenem Anlasse in jener Weise zu sprechen. Denken durfte Delbrück ja wie er wollte, aber der in einem der herbsten Momente in Schleichers Leben betreffenden Anlaß zu einer Äußerung war höchst unglücklich gewählt. Vielleicht ist sein Ordinariat die Frucht jener Position gegen Schleicher. Neulich habe ich übrigens ein c recht treffendes Urtheil über Delbrück aus dem Munde einer Dame gehört, völlig congruent mit unserem.

Lebe nun wohl, lieber Ernesto, freue Dich der bald eintretenden Weihnachtsferien und genieße sie recht. Deiner lieben Frau lasse ich mich bestens empfehlen, und bitte auch Deiner Frau Mama, die Du vielleicht in die Ferien entsendest, mich in freundliche Erinnerung zu bringen.

Den meinigen geht es gut. Meine Frau läßt herzlich grüßen

Stets Dein treuer

CG.

a Korr. aus: ob; b korr aus: sicher; c korr. aus: eine

Brief Metadaten

ID
9971
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Großherzogtum Baden
Datierung
14.12.1873
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,6 x 22,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9971
Zitiervorlage
Gegenbaur, Carl an Haeckel, Ernst; Heidelberg; 14.12.1873; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_9971