Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur, Jena, 10. Dezember 1866

Jena, 10. December | 1866.

Liebster Ernst!

Heute morgen, als ich mich gerade anschickte durch die mehr einem Schlammsee als einer Straße gleichende Neugaße mir einen Weg ins Colleg zu suchen, um dort meinen Zuhörern die verschieden Drüsen des Magens und andere derartige wichtige Sachen vorzutragen, werde ich durch den Empfang Deines lieben Briefes erfreut. Mit größter Spannung las ich während der Pausestunde Deine lebendige Schilderung der Pic-Ersteigung, und wäre am liebsten gleich selbst zur Dir geeilt um, Theuerster, mit Dir ein Stück herrlicher Natur zu genießen. Es wollte mir gar nicht in den Sinn daß ich um 11 Uhr wieder zu meinen Darmcanal zurückkommen sollte, und ich habe ihn mit seinen adnexis mehrmals recht kräftig zum Teufel gewünscht. Jetzt bin ich wieder gefaßter, und setze meine Uebung in der Tugend der Entsagung fort. Da Du von drei Briefen keinen erhalten hast, will ich mich folglich daran machen Dir wenigstens einige Zeilen zukommen zu lassen, die hoffentlich noch in diesem Jahre als warmer Freundesgruß in Deine Hände gelangen sollen. Dabei hoffe ich auch noch daß meine beiden letzten Briefe Dir noch zukommen. Den ersten nicht an seine Adreße gelangten Brief schrieb ich von Würzburg aus Ende Octobers nach London, den zweiten Brief richtete ich an Dich nach Funchal (pr. Adr. Nic. Krohn) wie Du angegeben hattest, und den dritten endlich vor beiläufig 14 Tagen nach Orotava / Teneriffa, gleichfalls nach Deiner Angabe, poste restante. || Die Adreßen waren ausführlich und auch deutlich geschrieben. Dem letzten, langen Brief hatte ich noch einen Brief von Osk. Schmidt beigelegt.

Da ich in den beiden letzten Briefen über vieles ausführlich berichtete, und dieselben Dir jedenfalls noch zukommen werden, so kann ich dießmal kurz sein. Aus den beiden letzten Briefen wiederhole ich nur daß Deine Aufträge besorgt sind, sowie daß Dir eine Summe von 500 M. bewilligt ist, zum Sammeln fürs hiesige zoolog. Museum. Daß ich längere Zeit krank war, erwähne ich nur, um jetzt eingetretene Genesung melden zu können. Auch meiner Kleinen geht es nach den jüngsten Nachrichten gut. Ich werde zu Weihnachten auf einige Tage nach W. gehen um diesen traurigen öden Winter hindurch wenigstens einen Sonnenblick der Hoffnung ins Gemüth strahlen zu lassen. –

Nach einer vor etwa 14 Tagen von Deiner lieben Mutter erhaltenen Nachricht geht es Deinen Aeltern gut, was ich Dir mittheile für den Fall dieser Brief einem Berliner zuvorkommen sollte. Hast Du Gelegenheit Selachier zu erhalten so denke an mich. Ich wiederhole in dieser Beziehung aus meinem letzten Briefe daß ich nur im Mittelmeere seltene oder gar nicht vorkommende Spec. und auch diese in wenigen Specimis 2-3 Ex. wünschte. Von großen nur Schädel bis Schultergürtel. Eine Oeffnung im Schädeldach zum Einlassen von Wg. wird gut sein. Von großen Rochen schneidet man die Brustflossen ab; auch den Schwanz. Gute Conservirung auch der Intestina kostet Weingeist, ist aber nöthig. Wenn Ihr auch ein paar Embryonen von Selachiern übrig habt so bitte ich darum. Wenn man den Dotter ausfließen läßt sind sie leichter zu conserviren. Alle Auslagen ersetze ich gerne. Auch wenn Fol u. Miklucho, die ich freundlichst grüße, || Guanchen Reste Guanchen Reste (hoffentlich auch Schädel u. Becken) aquirirten, Dank und Vergütung. Ueber unsere Zustände in Deutschland will ich Dir diesmal nichts berichten. Alles waffnet sich! Gegen wen? Wenn Du wieder kommst wird man nur noch Soldaten haben. Die übrige Menschheit zählt nicht mehr. Das einzig vernünftige was ich in letzter Zeit über die Lage Europas las, ist eine Rede des Alterspräsidenten der eidgenöß. Rathsversammlung zu Bern. –

Von hiesigen Verhältnißen ist nichts bemerkenswerthes mitzutheilen. Ich sehe Niemand als meine Zuhörer und Praeparanten, und meide, wie alle Surrogate, auch jene des Umgangs. Auch reisen kann ich wenig nachdem das zu Anfang November eingetreten frische Winterwetter sich in die elendste Form des deutschen Winters umgesetzt hat.

Zu einer anhaltenden Arbeit bin ich noch nicht gekommen doch wird das jetzt bald wieder gehen, und damit wird auch meine Stimmung besser werden, die eine sehr, sehr schlechte ist. Sie entspricht vollkommen dem Himmel über mir, dem Boden unter mir, den Menschen um mich! Auch eine Anpassung!

Vor ein paar Tagen erhielt ich von Agassiz einen Brief dd. 22 Nov. Er hat Dein Werk noch nicht gehabt, meldet seine Rückkehr, seine Sammlungen etc. erwähnend. Er beklagt sich sehr darüber daß ich, ich weiß nicht wo? – bei seinem Schildkrötenbuch den Clarke, nicht ihn citire, und ist darüber in einer offenbar ärgerlichen Laune. Seine Existenz hängt von seiner Stellung in der Gelehrten Welt ab, und nun werde ihm Abbruch gethan, kurz der Mann scheint zu empfinden daß manches sich ändert. –

Nun the last but not least, nochmals vielen tausend Dank für Dein Buch, für die Freude die Du mir bereitet, die Ehre die ich nicht verdient! – Siehe darüber mein Brief nach Funchal. – Es ist inzwischen spät geworden, und dieser Brief soll heute noch zu Ende kommen, er soll Dir sagen || wie oft ich an Dich denke, wie oft ich Dich vermiße, und wie ich Dich um die Genüße die jetzt ihr Füllhorn über Dich ergießen beneiden würde, wenn ich nicht vermöchte an Deiner Freude auch dann mich zu freuen da der Erdball ein gutes Stück Raum zwischen uns ausbreitet. Mit brüderlichem Kuß und Gruß

unveränderlich Dein treuer

C G.

N.S.

Im letzten Brief bat ich Dich um Mittheilung Deiner Vorlesung für nächsten Sommer. Im Januar wird der Catalog zusammengestellt. Vergiß nicht mir nur mit 1 Zeile Notiz zu geben.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
10.12.1866
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9945
ID
9945