Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Burgsinn, 25. September 1866

Burgsinn, d. 25. Sept. | 1866.

Liebster Ernst!

Obschon seit acht Tagen bereits wieder in Franken erhielt ich doch erst vorgestern Deinen Brief, nachdem derselbe mich an mehreren Orten vergeblich gesucht hatte. Tief schmerzlich berührte mich die unsäglich traurige Botschaft vom Hinscheiden Deiner Schwaegerin. Wie sehr ich diesen Schicksalschlag mit Dir und den Deinigen zu empfinden vermag, das weisst Du. War es mir doch beim Lesen Deines Briefes als staende ich mitten in dem Jammer, und wenn diess die erste Vorstellung war, so war der zweite Gedanke zu Dir und Deinem Vater zu eilen. Doch um dem Gedanken blieb diess ausführbar, und in diesem bin ich oft bei Euch, und erwaege in gemeinsamem Schmerze die Unzulänglichkeit der gewordenen Dinge.

Auch ich habe seit den wenigen Tagen meiner Rückkehr viel Elend geschaut. Mein Vater, der seit meiner unvergeßlichen Mutter Tod sehr leidend ist, hatte während meiner Abwesenheit mehrere schlimme Anfälle zu bestehen gehabt, und hat sich erst vor kurzem wieder soweit erholt daß ich ihn zu verlassen wagen durfte. || In den Kreisen vieler mir aus früher Zeit bekannter Familien in Franken hat die Cholera eine traurige Erndte gehalten. Fast alle von Preußen besetzt gewesene Orte längs des Mains sind inficirt, und in manchen starben in wenigen Wochen zehn Procent der Bevölkerung! In Würzburg sind bis jetzt nur wenige Fälle, im ganzen einige 40, vorgekommen, und diese beschränkten sich zumeist auf das Juliusspital, in welchem die Weisheit der Aerzte einen schlimmen Infectionsheerd hat aufkommen lassen. Ich bin also auch leider der Meinigen wegen nicht ganz ohne Sorge, doch versuche ich mich mit der günstigen Wohnungslage zu beruhigen.

Gerne haette ich mein Töchterchen mit hieher genommen, allein es war zu befürchten daß es der fremden Umgebung unlieben Widerstand entgegensetzen würde, sowie auch die wechselvolle Witterung einer Reise für die Kleine nicht räthlich erscheinen ließ. Ich werde nun von hier aus von Zeit zu Zeit auf einige Tage nach Würzburg gehen, und so den Rest der Ferien zubringen.

Meine Reisepläne habe ich, zum Theile modificirt, in Ausführung gebracht. Einige Tage an den Ufern des Bodensee, dann vergeblichen Versuch ins Engadin einzudringen, || vergeblich wegen gebirgsreisefeindlichen Wetters, daher nur bis Chur gekommen. Darauf ein längerer Aufenthalt in Ragatz, von da über Glarus nach Zürich und Basel. An den Südabhängen des Schwarzwaldes setzte ich mich wieder fest, und blieb unter anderem 8 Tage im lieblichen Badenweiler wo ich Leydig mit Frau traf. Wir waren daselbst viel zusammen, vieles haben wir durchgesprochen. Ich freute mich daß unsere Anschauungen in vielen Stücken harmonirten, und daß auch er zu jenen gehören wird, die sich des Genußes deines Werkes werden a freuen können. Der Umgang mit L. ist aber noch schwieriger als vordem, und die Gereiztheit seiner Stimmung hat sehr zugenommen. Körperliche Leiden haben das fortgebildet, was äußere Umstaende erzeugt hatten.

Wie steht es mit Deiner Reise? Oftmals ließen mich die Zeitungsberichte aus Süditalien einen neuen Aufschub des alten Planes befürchten. Cholera in Neapel, Aufstand in Sicilien! Beides scheint nicht mehr hinderlich zu sein. So sehr ich mich darüber Deinetwegen freue, so schwer macht mir der Gedanke einer längeren Trennung das Herz! Es wird ein harter Winter für mich werden. Arbeit, ernstliche Arbeit mag die Tage weniger trübe an mir vorüberziehen lassen. Mit dem Plane mein Kind zu mir zu nehmen bin ich noch nicht in Reine gekommen. Die Absicht steht natürlich fest, nur || der Zeitpunkt ist mir noch nicht bestimmbar, da ich in der Einrichtung meines Haushaltes mehrfache Vorbereitungen treffen muß. Alle Personen die mir vorgeschlagen sind, passen mir gar nicht, sind mir mehr als fremd, und würden es noch mehr werden. Ich sehe daß ich hier niemand finden kann, dem ich die geistige Erziehung des Kindes anvertrauen könnte, wenn ich auch selbst die Leitung nicht aus den Händen ließe. Um nicht ein allzu kurzes und deßhalb schädliches Provisorium zu schaffen sind mir neue Erwaegungen nöthig. Für jetzt bin ich mit dem Aufenthalte der Kleinen bei meiner Schwiegermutter sehr zufrieden, und kann für die Art der Behandlung derselben mich nur zu großem Dank verpflichtet fühlen. Das mag mich dann für dießmal noch beruhigen, sowie ich auch in dem erfreulichen Gedeihen des Kindes bereits manchen Trost gefunden habe.

Hier lebe ich in beschaulicher Ruhe, arbeite des Vormittags und des Nachmittags führen mich weitere Excursionen in stille Wälder und liebliche Thalgründe. Es ist mir da um vieles wohler ums Herz als im prätensiös-bornirten Würzburg. Gar vielmal des Tages weilen meine Gedanken bei Dir, bei den Deinigen, in unserem friedlichen Jena. Heitere und trübe Bilder ziehen da an mir vorüber, und wenn die letzteren durch Deinen Brief die Oberhand gewännen, so fühle ich wie das Unglück Verwandtschaften knüpft.

Mit der Bitte Deinem armen Bruder meine wahrhafte Theilnahme melden zu wollen, grüße ich Dich und die Deinigen herzlichst. In

treuer Ergebenheit Dein C. G.

Ich hoffe vor Deiner Abreise noch von Dir zu hören.b

a Eingef.: werden; b Text eingefügt über Kopf am unteren Rand von S. 1: „Ich … hören.“

Brief Metadaten

ID
9939
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Burgsinn
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich Bayern
Datierung
25.09.1866
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,8 x 21,7 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9939
Zitiervorlage
Gegenbaur, Carl an Haeckel, Ernst; Burgsinn; 25.09.1866; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_9939