Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Jena, 15. April 1865

Jena, 15. April 1865.

Liebster Freund!

Meiner Sehnsucht nach Dir brieflichen Ausdruck zu geben war seit Deiner Abreise meine tägliche, aber auch täglich durch andre Dinge durchkreuzte Absicht. Meine bevorstehende Abreise, mehr aber noch Deine gestern empfangenen Zeilen voll treuer Freundschaft, lassen mir keine Ruhe bis ich geschrieben, und Dir nochmals herzlichen, innigen Dank gesagt. Was Du mir bist, das wirst Du selbst empfinden, sagen kann ich Dir’s nicht. Ich erinnere mich, vor Jahren einmal meiner theuren Emma geschrieben zu haben daß ich viele Freunde aber keinen Freund besäße. Jetzt habe ich einen gefunden. Das mag Dir alles sagen. – Daß Deine guten Aeltern Deinen Entschluß billigen, ist mir eine große Beruhigung, ich habe die Ueberzeugung es soll auch Dich niemals reuen, und das äußere Opfer in reichen innern Lohn sich wandeln.

Was du über Bezold schreibst, entspricht ganz unseren gemeinsamen Erwartungen. Was da glänzt kann ja nur Gold sein! Die Verschiedenheit der Lebensanschauungen spiegelt sich doch nirgends deutlicher und schärfer ab als in solchen Fragen wie sie Dir und ihm vorlagen, und nach dem goldenen Kästchen der Portia greifen immer die Hände eher als nach dem bleiernen, wie mir kürzlich Seebeck treffend bemerkte. Deine Angelegenheit ist nun bei dem Senat gewesen, und binnen Kurzem wird die ganze Sache im Reinen sein. Jedenfalls triffst Du sie bei Deiner Ankunft fertig. Das ist dann die beste Antwort auf den vortrefflichen Brief des biederen Zobel, der mich selbst in trüberer || Stimmung erheitert hat. Ich freue mich schon darauf ihn nochmals mit Dir zu durchgehen, und die herrlichen Anerbietungen in wiederholte Erwägung zu ziehen. Vergleichende Anatomie lesen, auch manche andere Bedürfniße decken, was willst Du noch mehr. Ich zweifle auch nicht daran daß Du manchen seltenen Fisch dürftest sceletiren, unter der einzigen Bedingung, daß alles daran zu Entdeckende dem Vorstand der Sammlung gehört; etwa wie diea Vollmacht des Columbus lautete. Nachdem Du jetzt der Retter des heterogenen Blödsinnskindleins geworden, das Du aus den Gewässern der Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten auf den festen Boden der wirklichen (!) Thatsache gebracht, wird es Dir schwer werden Dich nicht auch des nicht minder blödsinnigen Vaters jenes Kindleins anzunehmen, und auch ihm zu Ehrungen verhelfen. Und wäre es auch nur durch den Medusenknorpel, an welchem sich nachweisen ließe daß Intercellularsubstanz eigentlich nur modificirtes Protoplasma oder Zellsaft wäre, succus inspissatus, somit also vom denkenden Forscher zur Zelle gerechnet werdenb muß, von der er eigentlich nur einen größeren Aggregatzustand bildet. Darum ergibt sich dann zugleich für einmal mit wahrscheinlicher Bestimmtheit daß diese Zwischensubstanz als Membran erscheint und somit auch diese Zellen der allgemeinen Bildungsgesetzec nicht entbehren, wie ER es schon längst in mannichfaltigen Richtungen aufgestellt. Doch am Ende passirt es mir, dass ich || selbst noch zu einem derartig denkenden Forscher werde weßhalb ich solch’ gefährlich Spielzeug bei Seite legen will. Das Bindegewebe der Cölenteraten wird uns schon noch genug Freude machen, und: geteilte Freud’ ist doppelt Freud’.

Vor einigen Tagen habe ich an Keferstein geschrieben und bin jetzt sehr begierig was er antworten wird. Wenn ich von ihm nichts bekomme, werde ich mich nach Leyden wenden. Die Selachier sind mir von großer Wichtigkeit und den Cestracion möchte ich nicht gerne missen, obschon ich nicht weiß ob ich mehr finden werde als bei einem der 14 anderen von mir untersuchten Selachiergattungen. Es ist gut daß sich diese Arbeit noch weiter spinnt, und daß ich sie ins nächste Semester mit hinüber nehmen werde. Sie wird mein Intereße fesseln und mich weniger an mein Elend denken lassen, und an all’ die Zerstörung die mich umgibt. Doch es muß auch das getragen sein, und ich werde es tragen, gemeinsam mit Dir.

Meiner lieben Kleinen geht es gut, sie ist bei der herrlichen Witterung den größten Theil des Tages im Freien, und hat sich nun einen ganz bräunlichen Teint geholt. Meine Schwiegermutter läßt Dich und die Deinigen bestens grüßen. Auch ihr fällt das Scheiden schwer! Unsere Abreise ist auf Mittwoch festgesetzt. Ich werde dann nach Erlangen gehen und zu Ende der Woche nach Würzburg, dann zu meiner Schwester, und am letzten April oder 1. Mai hieher zurückkehren.

Nun lebe wohl, liebster Ernst, laß’ Dirs gut gehen, grüße Deine lieben Aeltern herzlichst von mir und sei selbst brüderlich gegrüßt von

Deinem

Carl Gegenbaur

Desor ist bestellt.

Victor Carus hat für [seine] Morphologie 250 rℓ . Honorar erhalten. Meine Adresse in Würzburg ist einfach I. 41.

a eingef.: die; b eingef.: werden; c korr. aus: Bildungsgesetzes

Brief Metadaten

ID
9933
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach
Datierung
15.04.1865
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Format
13,8 x 21,4 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9933
Zitiervorlage
Gegenbaur, Carl an Haeckel, Ernst; Jena; 15.04.1865; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_9933