Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Jena, 11. Dezember 1860

Jena 11. Dezember

1860.

Lieber Häckel!

So leicht es mir war Ihnen bezüglich der Hamburger Angelegenheit an mich gerichteten Brief sogleich zu beantworten, so schwer ward es mir dasselbe auf Ihren jüngsten Brief zu thun. Es bedurfte reiflicher Erwägungen nach den verschiedensten Seiten, daher die Verspätung dieser Zeilen. Vor allem will ich Ihnen bemerken daß ich mit dem folgenden durchaus nicht gewillt bin Ihnen einen bestimmten Rath zu ertheilen, die Verantwortung eines solchen sowie meine Unbekanntschaft mit den Berliner Verhältnißen verbieten mir dieß. Ob die Stelle bei der Kunstacademie Ihnen zusagt, müßen natürlich Sie am besten wißen, mir scheint es jedenfalls sehr verlockend, und ich wüßte nicht ob ich, in einem ähnlichen Falle wie Sie, nicht auch zugegriffen hätte. Wenn Sie großen Werth darauf legen in Berlin zu bleiben, und mit der Kunst in engerer Berührung zu treten, so kann ich es Ihnen nicht im mindesten verdenken wenn Sie Ihre Jenenser Pläne fallen laßen. Ich muß da ganz offen mit Ihnen sprechen, und alles persönliche Intereße zurückdrängen. Kunstgenüße haben Sie hier so gut wie gar keine, nähere Beziehungen sind hier mit Künstlern gleichfalls keine anzuknüpfen, und unser Jena kann sich natürlich auch in allem Uebrigen mit Berlin nicht zu vergleichen wagen. ||

Dazu kommen noch Ihre Familienbeziehungen Verbindungen mit den Berliner wissenschaftlichen Celebritäten, lautera Dinge gegen die nicht das mindeste, selbst mit dem schlimmsten Willen sich einwenden läßt. Wenn Ihnen also alle diese gewichtigen Dinge den älteren Plan zu verlaßen Ursache genug bieten, so wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen Glück zur Realisierung des neuen, und will hoffen daß Sie dabei, wenn auch auf einem Umwege, denn b ein solcher ist es immer, wenn auch ein angenehmer, bald wieder zum definitiven Ziel gelangen. Soviel also von der Berliner Stelle. Was nun den alten Plan angeht, so darf ich denselben da ich mit seinem Boden vertrauter bin als mit dem des neuen, doch nicht so ohneweiteres abfertigen, natürlich unter der Voraussetzung daß nicht künstlerische oder locale Berliner Intereßen dagegen in die Wagschale kommen, denn vor diesen muß ich für allemal die Segel streichen. Es wäre mir höchst bedauerlich die wenn auch nur mittelbare Veranlaßung gegeben zu haben daß Jemand hier nicht befriedigt ist und Dinge nicht findet die eben nur in Berlin existiren. Dagegen kann sich hier jeder seine Lebensverhältniße ordnen so behaglich und friedlich er mag. Was die academische Stellung angeht so würde Sie natürlich gänzlich unabhängig sein. Ich habe meine Dispositionen getroffen die zoologische Professur gänzlich abzugeben und es würde nur eine (etwa der Berliner Ernennung) gleichkommende Form sein wenn Sie sich hier habilitiert hätten. ||

Daß man in der kürzesten Frist Sie zum Extraordinarius gemacht hätte, konnte ich Ihnen nur andeuten. Ich kann jetztc in dieser Hinsicht die bestimmtesten Versicherungen geben, die Sie nicht als blosses Gerede ansehen wollen. Ich hätte gerne gewünscht daß man ohne die Habilitationd sogleich Sie zum Professor ernannte, allein es liegen beträchtliche Schwierigkeiten vor, die ich allerdings einsehe, allein nicht zu beseitigen vermag, so daß ich damit zufrieden sein muß jene Versicherung, auf die ich fest bauen kann aussprechene zu könnenf. In Anbetracht dieser Umstaende würde es sich natürlich sehr in Frage ziehen laßen ob nicht der Jenenser Sperling mehr werth ist als der Berliner. Jedenfalls dürften Sie unseren Sperling nicht auf dem Dache suchen, denn ich habe ihn bereits wohl verwahrt. Sie schreiben mir daß Sie durch die anatomische Professur Veranlaßung bekämen auf die Seite der Anatomie zu treten. Wie leicht dieß in Berlin ist weiß ich nicht, auch von dem Verhältniße zu Reichert der eben einmal dort ist, und wohl auch nicht fortgehen wird, also seine Umbequemlichkeiten noch lange genug äussern kann, will ich schweigen, da ich für diess Verhältniß ebenfalls keine Kenntniß besitze. Wenn Sie aber dasselbe hier gewollt hätten so muß ich sagen daß es hier natürlich gar keine Schwierigkeiten haben würde. Wenn Sie nur erst sich einmal habilitirt gehabt hätten, alles andere wäre von selbst gekommen, und Sie hätten ebensobald als in Berlin, aber doch höchsteng nur ein halb Jahr später eine Professur erreicht, die (natürlich immer von „Berlin“ und der Kunst abgesehen) eine || freie und unabhängige, wenn auch in materieller Hinsicht bescheidene Stellung geboten haben würde. Ich betone die academische Stellung. Auch Zeit zum Arbeiten hätte sich ausreichend gefunden. – Ausser der Zoologie hätte die Gewebelehre noch ein gutes Feld hier geboten, und ich hätte, wie ich schon mündlich Ihnen einmal bemerkte, mit Vergnügen Abschnitte der Anatomie oder die Vergleichende Anatomie abwechselnd abgetreten. Also in dieser Hinsicht ist kein Mangel. Doch auch hiervon genug. Sie müßten ja am bestenh wißen nach welcher Gegend Sie Ihr Lebensschiff zu steuern haben und wenn der Berliner Wind Ihnen günstiger scheint, so kann ich nur wünschen daß Sie ihn mit Glück benützen und daß er Ihnen recht voll die Segel blähe! –

Die gewünschte Verzögerung der Habilitation hat sich von selbst gemacht, da, wie Ihnen wohl schon mitgetheilt sein wird noch ein Nachweiß bezüglich des Staatsexamens, den ein von mir übersehener Nachtrag des Statuts fordert, gefehlt hat. Die Zeit zur Abhaltung der Habilitationsformalien würde übrigens nur von Ihnen zu bestimmen gewesen sein, sobald Erlaubniß der Höfe einmal da ist. –

Da ich nicht zweifle dass Sie auf Virchows und Dubois gestützt die Stelle an der Academie erhalten werden, und da ich fast die Hoffnung aufgebe Sie, bei allen in rein academischer Hinsicht entschieden äußerst günstigen Umstaenden die wir hier bieten können, doch nicht für Jena gewinnen zu können indemi ich die Berliner Einflüsse jedenfalls für mächtiger halten muß, so || bescheide ich mich Ihnen einfach unsere Absichten auseinander gesetzt zu haben, damit Sie wenigstens sehen, dass Alles was in meinen Kräften stand geschah. – –

Eben, mit dem Abschließen dieser Zeilen, kommt mir Ihr zweiter Brief zu, ich schäme mich die Beantwortungj des ersten noch nicht zu Ende zu haben.

Zunächst also die Beantwortung Ihrer Anfrage: Es hat allerdings mit der Einsendung der geforderten Papiere Zeit, allein da die Bestimmung der Habilitation, so lange Sie ins Semester fällt ganz von Ihnen abhängen wird, so ist es für alle Fälle besser wenn Sie die Papiere so bald als möglich hieher senden. Der Termin zur Habilitation wird Ihnen nicht bestimmt werden, sondern die Verzögerung oder Beschleunigung nach j erfüllten Vorbedingnißen wird ganz von Ihnen abhängen. Verlaßen Sie sich darauf.

Eine Stelle in Ihrem Briefe veranlaßt mich Ihnen nochmals zu betonen daß die Habilitation nur die Form Ihrer Einführung dahier sein soll, und daß ihnen die ausserordentliche Professur so gut als gewiß ist. Dafür kann ich einstehen, und um die Sache mir möglichst sicher zu machen musste diese Antwort die von mir beklagte Verzögerung erleiden. Es wird sich also fragen in wie fern Sie zunächst mir Vertrauen schenken (ich vertraue dagegen einem Anderen). Ihre Professur ist nicht abhängig von besonderen Ereignißen, einer Berufung u. dergleichen, sondern siel ist wie die Sache jetzt steht, selbstverständlich, und wird Ihnen ganz bestimmt nach dem || ersten halben Jahre Ihrer Thätigkeit zu Theilm. Es gibt Ereigniße die es auch noch beschleunigen könnten. Wenn nun zb. da die Hamburger Angelegenheit mich in Vorschlag gebracht hätte, so würde ich – nur dafür habe ich schon alle Vorbereitungen getroffen – nur unter der Bedingniß n Ihrer (mir für diesen Fall schon zugesagten) Berufung abgelehnt haben. Ich schreibe Ihnen dieß damit Sie daraus entnehmen daß es nur einer Form oder einer aüßeren Veranlaßungo bedarf Sie zum Prof. zu ernennen.

Diese Form, oder Veranlaßung wird jetzt durch die Erfüllung der Habilitation gegeben und durch Ihre hiesige Wirksamkeit. –

Also, lieber Haeckel, überlegen Sie sich diese Sache reiflich, mir scheint Sie eine Cardinalfrage zu sein, und es wird vielleicht Ihre ganze Zukunft von Ihrer Entscheidung abhängen. Haben Sie irgend welche Zweifel so schreiben Sie mir darüber jedenfalls aber, vor Sie einen bestimmten Entschluß fassen, überlegen Sie sich das Ganze, ziehen Sie Vor- u. Nachtheile der hiesigen u. der Berliner Stellung gegeneinander in sorgfältige Betrachtung Jedenfalls aber verlaßen Sie sich darauf das das Angebotene nicht eine Lockspeise ist die Sie zum Ausschlagen der Berliner Stelle verleiten soll, sondern der ernste Wille einer maßgebenden Person. Nun leben Sie wohl nur wählen Sie so daß Sie auch künftig mit Ihrer Wahl zufrieden sein können.

Wie immer Ihr ergebener

Gegenbaur.

Bezold grüßt bestens, daß er den innigsten Antheil an unserer Angelegenheit nimmt, versteht sich.

a korr. aus: Lauter; b gestr.: dies; c eingef.: jetzt; d eingef.: ohne die Habilitation; e korr. aus: auszusprechen; f eingef.: können; g eingef.: höchstens; h korr. aus: bessten; i gestr.: doch; eingef.: indem; j eingef.: die Beantwortung; k gestr.: voll; l korr. aus: Sie; m korr. aus: theil; n gestr.: der; o eingef.: oder einer äuß. Veranlaßung

Brief Metadaten

ID
9916
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach
Datierung
11.12.1860
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
6
Umfang Blätter
3
Format
13,6 x 21,3 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9916
Zitiervorlage
Gegenbaur, Carl an Haeckel, Ernst; Jena; 11.12.1860; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_9916