Geheeb, Adalbert

Adalbert Geheeb an Ernst Haeckel, Freiburg i. Br., 25. März 1903

Freiburg i. Br.,

Götherstrasse, 39, III,

d. 25. März 1903

Hochgeehrter, theuerster Herr Professor!

Das war eine große Freude, als gestern Nachmittag, 2¼ Uhr der Briefträger mir Ihren großen Brief überbrachte, die seit Monaten mit Sehnsucht erwartete Moostafel in ihrer Vollendung enthaltend. Innigsten, herzlichsten Dank für diese große, freudige Überraschung! Das ist ein herrlicher Mooswald, den sie hier dem Besucher vor’s Auge führen u. sicher wird das große Publikum mächtig angezogen werden von dieser formen- u. farbenprächtigen Welt im Kleinen! Nur der Moosfreund muß sich erst etwas zurechtfinden in diesen herrlichen Gestalten, da sie, wenn auch als alte Bekannte, doch in etwas fremdartiger Farbe u. bisweilen stark vergrößert, sich ihm darstellen. Die Gruppierung, also die Composition, finden wir, || meine liebe Frau u. ich, augezeichnet! Und am besten dargestellt, auch in der Farbe, finden wir:

Hypnum Crista-castrensis,

Thamnium alopecurum,

Mnimum undulatum,

Rhodobryum roseum.

Die beiden letzteren Arten sind, besonders in den Sporogonen doch sehr vergrößert, ‒ auch der Blattkopf, aus welchem die 3 Fruchtkapseln von Rhodobryum entspringen, ist fast größer noch als beim javanischen Rhodobryum giganteum, ‒ aber diese || Vergrößerung werden ja im Texte angegeben sein?

Am wenigsten gut zu erkennen finden wir Tetraplodon urceolatus u. 4 Schirme des Splachnum luteum zeigen durch faltenartige Streifung, ein fremdartiges Ansehen! Die übrigen 12 Schirme sind richtig, am schönsten ist wohl der zur Linken, in der unteren Reihe, nach Mnium undulatum chr. Sich zuneigend. Wie kommt es wohl, lieber Herr Professor, daß jene 4 Schirme so gestaltet erscheinen? Ob sich die || Glättung, bei den Abdrücken, wieder herstellen lassen wird? Als meine liebe Moosfrau, 1877 als Gast bei meiner ersten Frau in Geisa, die Splachna meiner Sammlung, 6 Specie auf 6 Tafeln, in Aquarell malte, hatten wir alle, auch die 2 großen, Splachnum luteum u. rubrum, mit lauwarmem Wasser eingespritzt u. über Nacht in den Keller gelegt. Am anderen Morgen waren die reizenden Schirme in ihrer ursprünglichen Gestalt, also geglättet, wieder auferstanden. Sollte vielleicht das vona Ihnen als Vorlage benutzte Splachnum luteum durch’s Trocknen, resp. durch zu schwaches Pressen, etwas runzelig oder || faltig schon von Anfang an gewesen sein? Ob es wohl möglich sein wird, diese 4 gefalteten Schirme im Abdruck wieder glatt herzustellen, so, wie das übrige Dutzend?

Nun zu Tetraplodon, dem alten „Splachnum urceolatum“. Offen gestanden, ist die Farbe der Sprorogone zu hell, ‒ nicht braunroth genug! Aber meine Frau meint, es seien die meisten braunen Farben, auch an anderen Mooskapseln, etwas heller gehalten, weil es fast unmöglich sei, so viele Nüancen, bei dem so kostspieligen Verfahren, herzustellen.

Die Form nun finde ich nicht ganz wichtig: der Frucht-||hals, resp. die Apophyse muß mehr kurz-birnförmig sein. Alle meine Exemplare z.B. sehen so aus: [Skizze eingef.], u. reif, von schwarzrother Farbe!

Freilich habe ich auch, z.B. aus Steiermark u. Tirol, schöne, nur halbreife Fruchtrasen, allerdings dann von hellerer Färbung, indem die Apophyse grünlich-braungelb u. die eigentliche Büchse fast kupferroth erscheint. Dann ist auch die Form anders, u. freilich dann mehr Ihrem Bilde ähnlich, so: [Skizze eingef.]

Jedenfalls haben Ihnen Exemplare vorgelegen, die noch nicht völlig reif waren. Vielleicht könnten Sie im Texte bemerken, daß die Kapseln noch nicht ganz ausgereift seien? ||

Andreaea Thedenii überrascht, abgesehen von der starken Vergrößerung, durch die purpurrothen Kapseln! Ich habe soeben soeben meine Arten der Gattung gemustert, z. B. die schöne u. große Andreaea Hartmanii u. die (1880) am Snehätta von mir selbst gesammelte Andreaea obovata, u. finde allerdings, daß die schwärzlichen Sporogone, bei schon schwacher Vergrößerung einen purpurrothen Schimmer zeigen. Ein bischen mehr in’s Schwarzrothe spielend dürften, nach unsrer Meinung, die Kapseln Ihrer Andreaea Thedenii doch sein. ‒ Polytrichum ist also wirklich gracile? Beim ersten Blick glaubte ich, Sie hätten die größte u. stattlichste Art, Polytrichum commune, abgebildet, || die ja auch in meinem Moosbuch, auf Taf. 14, eine hervorragende Rolle spielt, obwohl der Rasen, des ziemlich kleinen Formats wegen, ein gutes Stück abgeschnitten wurde. Aber der Haubenfilz geht bei Polytrichum gracile nur bis zur Hälfte der Kapsel herunter, während er bei Polytrichum commune die ganze Kapsel umhüllt! Der ziemlich lang u. schief geschnäbelte Deckel, den Sie abgebildet haben, ist der von Polytrichum gracile, doch die Calyptra ist eigentlich mehr die von Polytrichum communeSphagnum c.fr copior. kann nur Sphagnum cymbifolium Ehrh. Sein, wenn-||gleich die Ästchen etwas mehr kätzchenartig-rund oder gedunsen sein sollten. Sphagnum spquarrosum hat sehr sparrig abstehende Astblätter u. eine mehr bläulich-grüne Färbung. Die im Vordergrunde des Mooswaldes aus dem Rasen hervorschauenden 3 röthlichen Stangelköpfe sind ganz gewiß nicht zu Sphagnum spquarrosum gehörig, sondern sind das ehemalige Sphagnum cymbifolium var. purpurascens Schp., welches zuerst durch Limpricht auf den anatomischen Bau der Stengelrinde u. der Astblätter untersucht u. als sehr ausgezeichnete, eigene Art, Sphagnum medium Limp., || erkannt wurde, die von Sphagnum cymbifolium verschieden ist. Dasselbe Torfmoos, Sphagnum medium, finden Sie in meinem Moosalbum in Menge verwendet. ‒

Die Physcomitrium-Arten, alle bedeutend vergrößert, sind sehr schön dargestellt, ebenso die Dissodonten. ‒

Welche Moosgattung Sie der Taf. 72 als Typus voranstellen sollen? Das ist wohl schwer zu sagen, da ja verschiedene Typen auf ihr repräsentirt sind. Eigentlich sind doch die Splachnaceen nicht nur vorherrschend (in 3 Gattungen vertreten, Splachnum, Tetraplodon u. Dissodon), sindern sieb sind auch || die schönsten Formen auf der ganzen Tafel. Ob Sie dieselbe nun Splachnum-Tafel (oder Splachnaceen-Tafel?) nennen wollen? Ich bin wirklich rathlos, ‒ u. sollte meinen, die Tafel einfach als Bryophyten-Tafel zu bezeichnen. ‒

Die Autoren habe ich überall beigefügt, u. zwar nach Limpricht’s „Moosflora“, wie nach Edouard Gabriel Paris’ „Index bryologicus.“ Diese beiden Werke sind die neuesten Quellen. ||

Limpricht geht oft etwas weit, um dem allerältesten Autorennamen die Priorität zu verschaffen. So hat er bei Splachnum luteum u. rubrum gefunden, c oder vielmehr dem Vorgange Lindberg’s beigestimmt, daß noch vor Linné’s Species plantarum (1753) Montin in seiner Dissertat. Splachnacear. (von 1750)d die beiden Arten zuerst beschrieben hat. Lindberg wie Limricht theilen also Splachnum luteum Montin u. "rubrum Montin, oder Niemand hat diesen Namen adoptirt, auch im neuesten Index bryolog. (1894) steht Linné! ‒

Bryum roseum, schon früher als Subgenus aufgefaßt, ist nun, in Folge vegetativer Unterschiede u. anatomischer Differenzen in der Blattrippe, zur eigenen Gattung erhoben worden, Rhodobryum. ‒

Ebenso Entosthodon ericetorum, das noch in der „Bryologia europaea“ ein || Physcomitrium war. Letzteres aber hat eine calyptra mitrata, während Enthosthodon eine calyptra cullata hat. Endlich ist Dissodon Frölichianus gebräuchlicher als Dissodon Frölichii. ‒

So, nun wüßte ich nichts mehr zu bemerken. Ob Sie zufrieden sein werden, lieber hochverehrter Herr Professor? Alles in Allem kann man u. muss man Ihrer Moostafel die höchste Bewunderung zollen, u. Sie werden sehen, allgemein wird sie || nur gelobt werden. Die wenigen Erinnerungen bezüglich Tetraplodon urceolatus u. Splachnum luteum sind doch höchst unbedeutend.

Ich darf also wirklich diese Tafel behalten? Von ganzem Herzen danke ich Ihnen für dieses wunderschöne Andenken, das nicht nur uns, sondern noch viele Besucher unsrer „Mooshütte“ erfreuen soll. ‒

Fast vergesse ich, Ihnen den Ausdruck innigsten Bedauerns zu melden, daß Ihre hochverehrte Frau Gemahlin u. Fräulein Tochter längere || Zeit krank waren. Hoffentlich sind die verehrten Damen jetzt auf dem Wege der Besserung u. das prächtige Frühlingswetter wird baldigste Wiederherstellung herbeiführen, was wir von Herzen wünschen.

Sie selbst aber, hochverehrter Herr Professor, sind noch weit vom „Alter“ entfernt, Ihrer unermüdlichen Schöpferkraft wird, so hoffe ich, noch viele Jahre die Wissenschaft immer neue Schätze zu danken haben. ‒

Mit vielen Grüßen u. freundlichsten Empfehlungen von der Moosfrau bin ich stets

Ihr treu u. dankbar ergebener

A. Geheebd ||

P.S.

Nochmals, lieber u. hochverehrter Herr Professor, eine Zeile!

Ihr herrliches Fruchtbäumchen von Mnium undulatum hat die Fruchtkapseln zu groß im Verhältniß zu den Blättern.

Bitte, vergleichen Sie inliegende Exemplare, die ich zu behalten bitte, ‒ als kleines Andenken an meinen Sie hochverehrenden Sohn Paul! Entweder müssen die Blätter vergrößert, oder die Fruchtkapseln verkleinert werden! Wird das wohl möglich sein?

Nochmals 1000 Grüße

Ihr dankbarer Schüler

A. Geheeb. ||

[Beilage: Herbarbeleg von Paul Geheeb, Mnimum undulatum:]

Herrn Prof. Dr. Häckel ex. Hb. Geheeb

Mnimum undulatum Hdw.

c. fruct. matur deoperculat.!

Jena: in einem feuchten Walde bei Klosterlausnitz

Paul Geheeb bg. Et misit Juni 1901.

a eingef.: von; b eingef.: sie; c gestr.: dass; d weiter am Rand v. S. 16: von der Moosfrau … A. Geheeb

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
25.03.1903
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 967
ID
967