Bölsche, Wilhelm

Wilhelm Bölsche an Ernst Haeckel, Friedrichshagen, 18. Januar 1902

18.I.1902.

Lieber Herr Professor!

Herzlichsten Dank für Ihre lieben Zeilen und die wunderschönen Postkarten. Ich hatte stark vor, Sie in diesen Wochen einmal wieder persönlich zu begrüßen, da ich im Goethe-Archiv in Weimar einiges zum Zweck der neuen Goethe-Ausgabe des bibliogr. Instituts (bei der ich die naturwissenschaftlichen Bände besorge) einsehen wollte. Ich habe die gute Absicht aber noch etwas aufschieben müssen, da ich noch eine Menge Sachen im Moment erledigen muß. Ich redigiere eben einen Band naturwissenschaftlicher Essays, allerlei kleinere und größere Studien, die ich in den letzten drei Jahren in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht habe und jetzt in dem guten Verlage von Bondi (Berlin) gesammelt herausbringen will (z.B. der s.Z. erschienene Radiolarien-Aufsatz, eine Studie über Archäopteryx, || eine geologisch-biologische über Entstehung der deutschen Landschaft, zwei längere astronomische Aufsätze über Milchstraße und Mond, eine Plauderei über das Tierleben der Großstadt und Verwandtes. Ich finde, daß diese ganz leichten naturwissenschaftlichen Plaudereien heute beim Publikum merkwürdig viel Glück haben. Meine beiden Bände Liebesleben, die doch auch durchweg recht „leichte Waare" sind, kommen dieser Tage im achten Tausend heraus! Das Buch vom „Bazillus zum Affenmenschen" im fünften. Das jetzt kommende neue Buch soll besonders hübsch ausgestattet werden, auf schönstem Papier mit bestem Druck. Jetzt endlich legen ja die jüngeren Verleger etwas mehr Gewicht auf diese Außendinge. Der Verleger möchte in diesem Falle das Buch gern mit ein paar schönen Farbentafeln || ausstatten. Mir ist dabei ein Gedanke gekommen, den ich Ihnen wenigstens vorlegen möchte. Sie erwähnen in der Vorrede von „Insulinde", daß von der Reproduktion einer Auswahl Ihrer mitgebrachten Aquarellskizzen wegen Kostspieligkeit der Reproduktion Herstellung Abstand genommen werden mußte. Könnte es nun irgendwie in Ihrem Wunsche liegen, einige Urwald- oder Vulkan-Motive, etwa drei oder vier, in bester Ausführung in der Oeffentlichkeit reproduziert zu sehen – und würden Sie sie mir für mein Buch zur Verfügung stellen? Diese künstlerische Zuthat, mit Ihrem Namen versehen, würde den Kaufwert und die allgemeine Wertschätzung meines Buches freilich so außerordentlich erhöhen, daß ich mir mit der Bitte ziemlich unbescheiden vorkomme und sie nur verwöhnt durch Ihre vielfältigen Freundlichkeiten wagen kann. || Stofflich würden sich die Bilder, glaube ich, ohne weiteres an den Text anreihen, in dem in ausgedehntestem Maße von Tropenwäldern, Farrnwäldern, Vulkanen ud.s.w. die Rede ist. Für eine musterhafte Reproduktion steht der Verleger ein, mit der besten Technik modernen Farbendrucks. (Dr. Georg Bondi´s Verlag, Berlin, Kleiststraße 8.) Eine ganz besondere Anziehungskraft als Titelbild des Buches würde für mich jene Skizze aus Java a haben, die bei der Postkarte benutzt ist, – die letzten Strahlen des 19. Jahrhunderts auf der Vulkanwolke.

So, damit wäre der kühne Wunsch heraus, – ich lege ihn nun in Ihre Hände, ob Sie irgend etwas damit anfangen wollen und können. Jedenfalls seien Sie mir nicht böse, wenn´s Ihnen || zu kühn vorkommt.

Hinsichtlich zu empfehlender Aesthetiken muß ich leider bekennen, daß meine Streifzüge in diese Sorte Litteratur stets zu arg negativen Resultaten geführt haben. Ich persönlich halte nach wie vor für die beste wirklich wissenschaftliche – ich möchte fast sagen, physikalische − Aesthetik die „Vorschule der Aesthetik" von Fechner. Fechners weiter greifende naturphilosophische Spekulationen kommen (von wenigen Einzelstellen abgesehen) grade in diesem Buche sehr wenig zum Wort, dagegen werden Sie eine Fülle der scharfsinnigsten Formulierungen „ästhetischer Naturgesetze" unseres Empfindens dort finden, die ich für den ersten Anfang überhaupt einer ernsthaften modernen Aesthetik halte. Durchblättern wenigstens würde ich einmal die Aesthetik von Ed. von Hartmann, die zwar viele im Standpunkt Ihnen ja total fremde und auch || in Anderem recht schlechte Kapitel, daneben aber doch auch (bei Hartmann´s reichem Wissen) einige sehr gute und lesenswerte enthält.

Sehr fruchtbar scheint mir der Gedanke zu sein (den ich allerdings noch nirgendwo klar entwickelt gelesen habe), daß man menschliche Kunstbethätigung (Hervorbringen rhythmisch harmonischer Gebilde) und das Auftauchen ebenfalls rhythmischer, unsern psychologischen Gesetzen der Wohlgefälligkeit entsprechender Dinge in der Natur unterhalb des Menschen auf die Linie „Organ und Werkzeug" ansieht. Zunächst im Sinne der natürlichen Entwickelungsgesetze Entstehen rhythmischer Körperformen, entsprechend der natürlichen Entstehung von Körperorganen überhaupt. Dann im Menschen || das Walten dieser gleichen Naturprinzipien, doch durch den Weg des höchsten Organs, des Gehirns: der Mensch projiziert Organbildung nach außen in die Herstellung künstlicher Sozialorgane, vom Individuum gelöster, für Viele benutzbarer Werkzeuge. Entsprechend äußern sich die rhythmischen Prinzipien in solcher Nachaußenprojektion harmonischer Gebilde von ähnlich abgelöstem Werkzeugscharakter: Statuen, Bilder. Doch das müßte natürlich viel eingehender entwickelt werden, als so in zwei Worten möglich ist.

Mir fällt noch ein: eine außerordentliche Bereicherung für ästhetische Grundfragen (z.B. was älter sei: realistische Naturnachahmung in unserer Kunst oder rhythmisch stilisiertes Ornament) || habe ich von den beiden Werken von Karl von den Steinen über seine beiden Schingu-Expeditionen („Unter den Naturvölkern Central-Brasiliens 1894" besonders!) erfahren.

Mit den herzlichsten Grüßen

Ihr Wilhelm Bölsche

a gestr.: sein

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
18.01.1902
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9624
ID
9624