Geheeb, Adalbert

Adalbert Geheeb an Ernst Haeckel, Freiburg im Breisgau, 9. Januar 1902

Herrn Hofrath Professor Dr. E. Häckel

Bemerkungen zu den im VI. Bande enthaltenen Mooslandschaften:

(M! Diese Notizen wünsche ich nicht zurück!)

Taf. 1. | " 2. | " 7.} Ideale Thamnium-Gruppen, wie sich der Moosfreund etwa einen „Moosurwald“ vorstellt!

Thamnium alopecurum L. sah ich wohl nirgends schöner, als in den waldigen Schluchten der sächsischen Schweiz, (auf Quadersandstein) u. an den wassertriefenden Felsen (von Rotliegendem) des Annathals bei Eisenach (in der sogenannten Drachenschlucht). Von letzterem || Standort stammen die außergewöhnlich hohen u. üppigen Exemplare von Taf. 1 u. 2. Im Annathal finden sich fast alle Thamnium-Stämmchen umschlungen u. umrankt von den weithin kriechenden, immer sterilen Stengeln des Eurhynchium praelongum L., das man die „Liane“ des Moosurwaldes nennen könnte. So stellt Taf. 2 eine einfache Baumgruppe im Urwalde dar, von Lianen umschlungen, – u. als einzige Vegetation zur Rechten ein wenig Splachnum ampullaceum zur Linken einige männliche Blüthenknospen des Leptobryum pyriforme zeigend. Der ganze || moosige Waldboden ist aus diesen Hypnoceen gebildet, die so ziemlich auf den übrigen Tafeln sich wiederholen: Hypnum incurvatum, Hypnum Sommerfeltii, Hypnum chrysophyllum, etc., Amblystegium serpens, Amblystegium varium, etc. untermischt mit Lebermoosen (den dunkelbraunen, gefiederten Stengeln von Frullania dilatata, u. der hellgrünen Radula complanata). –

Reicher u. buntfarbiger ausgestattet ist Taf. 1, – so recht ein idealer Thamnium-Moosurwald! Die reizenden Mniaceen spielen eine Hauptrolle, (im Hintergrunde das überaus zierliche Mnium stellare, überragt von männlichen Pflanzen des Mnium punctatum, || während steriles Mnium undulatum zur Linken im Vordergrund u. elegant gefiederten, großblättrigen rankenartigen Stengel von Mnium affine allenthalben zu bemerken sind), das schöne Rhodobryum roseum ist um den alten Thamnium-Stamm zur Rechten gruppirt, der einen langen, ausläuferartigen Ast bis fast zur Erde herabsendet. Eine zierliche Federmoosgruppe (Hypnum Crista-castrensis) steht im Vordergrund zur äußersten Linken, – der Farntypus der Mooswelt! ||

2.

Die röthlichen Stengelköpfchen des Sphagnum acutifolium var. purpureum sollen feuchten Grund oder Sumpft andeuten, – unter den fruchttragenden Moosarten sind Funaria hygrometrica, diverse Brya u. Ceratodon purpureus wahrzunehmen, während Polytrichum-Arten (Polytrichum piliferum, Pogonatum aloides) noch so jung sind, daß nur die langen röthlichen oder gelblich-weißen Mützen aus dem Rasenteppich hervorschauen. Von schöner Wirkung sind hier die bald goldgelben, bald mehr bräunlichen, seide-glänzenden Stengel des Camptothecium (Hypnum) lutescens im Vordergrunde, am Boden hinkriechend. || Die außerordentlich üppig entwickelten Thamnium-Stämme von Taf. 7 a sind dem Amselgrund in der sächsischen Schweiz entnommen; offenbar von sehr hohem Alter, indem die Äste, sehr verlängert, bis zum Boden herabhängen, b hier von Neuem Wurzel fassend. In der Mitte der Landschaft schimmert das elegante Mnium stellare durch die rothen Fruchtstiele der Wetera (Bryum) nutans, daneben ein großer Fruchtstern der Marchantia polymorpha. Ein zweites Lebermoos (Trichocolea tomentella) erhebt seine bleichen Stengel über einen Tümpel mit Leucobryum glaucum, überragt von dem || prächtigen Mnium undulatum (das man den Musaceen-Typus der Mooswelt nennen könnte!), sowohl steril, als mit reifen Früchten geschmückt. Oben am Felsen ein einziger Stengel von sterilem Polytrichum formosum (etwa eine Conifere vorstellend), darunter ein Pflänzchen der Buxbaumia indusiata (gleichsam die Pilzform unter den Moosen!).

Tafel 3. | " 4, | " 5, | " 6, | " 8, | " 9 | u. " 10} sind, der Haupttafel nach, immer Thamnium-Gruppen im Contrast zu anderen Moosen, so daß ich nur wenig || über dieselben zu bemerken habe. Daher nur rasch folgende Notizen:

Taf. 3 Der riesige Thamnium-Wedel, auf dem Hügel links bis fast über die Mitte des ganzen Bildes sich ausbreitend u. sogar einige noch bedeckelte Fruchtkapseln tragend, stammt wieder aus dem Amselgrund in der sächsischen Schweiz, der so recht eine Fundgrube von prachtvollem Thamnium in allen Größen- und Altersstufen darstellt.

Die links vor der Sphagnum-Gruppe angedeuteten Mnium-Pflanzen (Mnium punctatum mit männlichen Blüthen) erinnern uns an den alten Moosschwärmer Hr. v. Necker, der diese Art || treffend mit dem Namen „Mnium serpyllifolium“ belegte!

Taf. 4. Hier ist die schönste Wirkung durch den Farbencontrast erreicht, indem durch die rothen Fruchtstiele der Funaria hygrometrica Fruchtexemplare der bleichen, sammtweichen Trichocolea tomentella u. daneben kleine Sphagna schimmern.

Taf. 5. Diese Tafel (Combination von Thamnium, Trichocolea u. wunderschönem sterilem Mnium undulatum, – mit wenig Mnium punctatum, Mnium stellare u. links Mnium affine mit Rhodobryum roseum) wurde, gelegentlich meiner großen Ausstellung von Mooslandschaften u. einzelnen Moos-||arten im „Erholungssaale zu Weimar“ (6. Januar 1867) von dem noch heute in Weimar lebenden Landschaftsmaler Prof. Hummel als die schönste Tafel im ganzen V. Bande bezeichnet: weil sie, bei größter Einfachheit in der Composition, die größten Farbenconstraste aufweise! –

Dagegen war Taf. 6 ein Liebling der Damen, – doch finde ich heute das Bild zu überladen! – ||

Taf. 8 war, 1866 in Dresden, Friedrich Gerstäcker’s Lieblingsbild geworden.

„Hier möcht’ ich Tiger jagen!“ rief er aus, als er es zuerst sah.

Wohl auch zu überfüllt, – doch ist, wie Sie ja selbst wissen, lieber Herr Hofrath, Funaria hygrometrica ein so dicht wachsendes Moos, daß es hier auf dem Bilde sicher nicht zu dick aufgetragen ist!

Taf. 9 u. 10. endlich nenne ich die „Pariser Bilder“, || weil sie, in 2 Copien auf der Pariser Weltausstellung von 1867 ausgestellt waren, wo sie jedoch, jedenfalls in Folge ungünstiger Exposition, nicht einmal einen „succes d’estime“ errungen haben. Schon vor der Absendung nach Paris hatte ich der Frau Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar (in Folge der Aufforderung des Großherzogs Karl Alexander, gelegentlich meiner am 3. December 1864 im Schlosse zu Weimar von Sr. Königlichen Hoheit und den beiden Prinzessinnen gehaltenen Moosdemonstration, von Zeit zu Zeit Etwas sehen zu lassen) || dieselben 2 Landschaftsbilder (9. u. 10.)c copirt u. übersandt (December 1866).

Sie können meine Überraschung begreifen, als gerade 30 Jahre später der d kürzlich so jung verstorbene Prinz Bernhard Heinrich von Sachsen-Weimar, als er e auf einer Reise durch’s Eisenacher Oberland in meinem Heimathstädtchen Geisa, mit Gefolge die Moossammlungen u. Mooslandschaften sich zeigen u. demonstriren ließ, bei diesen 2 Tafeln (9 & 10) ausrief: „Diese Bilder besitze Ich auch, von Meiner Großmutter, der Frau Großherzogin v. Sachsen-Weimar!“ – ||

Daher haben diese 2 Tafeln ein besonderes Interesse für mich, – wenn sie auch jetztf nicht mehr mir gefallen! Was hätte ich für Wirkung erzielen können, wenn ich auf Taf. 9 die Abhänge aus Flechten (Cetraria glauca, die ich jetzt, da sie im Schwarzwald häufig ist, in unendlicher Variation bei Mooslandschaften verwende, um bald nackten Fels, bald Schneefeld oder Gletscher, || bald ferne, duftige Berge anzudeuten!) componirt hätte, anstatt sie aus Lebermoosen (Radula, Frullaria) herzustellen. Und dann hätte unbedingt ein See, (durch stark gepresstes Leucobryum glaucum ganz schwach angedeutet!) im Vordergrunde angelegt werden müssen! – „Gut componirt, in seiner Farbenwirkung“ sagte (1867) in Weimar ein Maler über Taf. 10, – doch jetzt mir viel zu überladen! Schön nimmt sich, links am Fuße des Thamnium-Felsen, das reizende Pterygophyllum lucens aus, das Sie auch, immer nur spärlich schon auf Taf. 4, 5 u. 6 bemerkt haben werden. – verte! ||

Nun bin ich bald fertig, hochverehrter Herr Professor. Die Tafeln 11, 12, 13 u. 14 werden Sie als „alte Bekannte“ begrüßen, von 1864/65 her, wo sie im 3. Ü Bande meiner Mooslandschaften in Jena vielen Beifall fanden. Nur auf besonderen Wunsch meiner lieben Frau, die sie, des kleineren Formates wegen, mit je 2 schmalen Papierstreifchen befestigt hat, konnte ich mich entschließen, diese 4 Tafeln nochmals Ihnen vor-||zuführen:

g Taf. 11 ist, unterdessen, der Liebling der Damen geworden. Ein feinsinniger Arzt (längst verstorben) hat sie einst ein „Freiligrath’sches Gedicht“ genannt! Die Tafel ist (1873) von einer Coblenzerin gemalt worden (in Aquarell!), – doch „schauderhaft“, wie meine liebe Kunstfrau zu sagen pflegt. (!!). –

Taf. 12 &13 stellen, wie Sie sehen, unser europäisches Climacium dendroides dar – meine „Palme der Mooswelt“, – u. zwar in jungen, sterilen u. in älteren fertilen Exemplaren! Es ist seltsam, daß der Climacium-Typus nur noch 3 mal auf der Erde wieder-||kehrt; in Climacium americanum in Nord-Amerika, Climacium japonicum in Japan u. Climacium Novae-Seelandiae in Neu-Seeland, – alle 4 Specie sind sich habituell ganz ähnlich, nur im Zellnetz sofort verschieden! –

Endlich stellt Taf. 14 die Polytrichum-Form dar, in dem stolzen Polytrichum commune L. (zur Linken) den, „…pelzgemützten Grenadier der Moose, Widerthon genannt, den wohlbekannten…“ (wie ihn der mir unvergessliche Karl Schimper besungen hat!) || in seiner Goldmützenpracht zeigend daneben, im Hintergrund, das zwergartige Pogonatum aloides, dann folgt Polytrichum juniperinum, endlich Polytrichum formosum, u. zwischen beiden lugt das rothgolden-mützige Polytrichum piliferum hervor. Endlich zu den letzten 6 Tafeln, dem VI. Bande entnommen, übergehend, sehen Sie in Taf. 15 eine ideale Gebirgslandschaft, aus ca. 40 deutschen Moosarten componirt. An dem Abhang links schimmert kupferroth-goldiges Bryum alpinum, unten silberglänzendes Plagiothecium (Hymnum) undulatum, während die altersgebeugten Thamnium-||Stämme umrankt sind von zartem Eurhynchium praelongum u. die ausläuferartigen Stengel von Mnium rosfratum als „Epheu der Mooswelt“ den Abhang zur Rechten beleben. Im tiefsten Hintergrunde, in die Ferne sich verlierend, erheben sich die bleichen, einen winzigen Polypodium-Wedel copirenden Stengel der Schistostega osmundacea, rechts daneben Seligeria pusilla, über welche die braunen Fruchtglöckchenh von Leptobryum pyriforme herabhängen, – diesem gegenüber: Splachnum ampullaceum. – So formen- u. farbenreich diese Tafel, || so einfach in Farbe u. Form ist Taf. 16, – eine ideale Farnenlandschaft (durch Hymnum Crista-casternsis L. dargestellt) veranschaulichend. In der Tiefe, links, schimmert der langhalsige, scharzrothe Tetraplodon mnioides (aus Norwegen’s Dovrefjell) hervor. –

Taf. 17. Ideale Torflandschaft, – wie der Moosfreund sich etwa das „rothe Moor“ des Rhöngebirges „en miniature“ vorstellt! Ein jedes Sphagnum-Köpfchen soll einen ganzen Rasen, eine ganze Kolonie solcher Köpfchen im Kleinen wiederholen! i Die schlanken Thamnium-Stämmchen mag man sich als „Birken“ denken. – ||

In Taf. 18 sehen wir ein nordisches Sphagnetum, das seinen besonderen Schmuck durch Splachnum luteum u. Splachnum ampullaceum erhält. Ziemlich ähnlich fand ich, unter der Führung meines unvergeßlichen Dr. Frantz Kiaer von Christiania († 1893) beide Splachna am 31. Juli 1880 in einem kleinen Torfmoor bei Aasta im Thale des Glommen (auf der Reise nach Drontheim[!]), – jedoch nicht so richtig, wie ich sie hier dargestellt. Die höchste Splachnum-Pracht jedoch || zeigen die 1869 mir von meinem verstorbenen Freunde Joh. Angström (von ihm bei Lyksele in Lappland gesammelten) mitgetheilten Rasen von Splachnum luteum (leider ist das ebenso schöne Splachnum rubrum L. zufällig nur spärlich vertreten gewesen u. daher nur in 2 schmächtigen Fruchtschirmchen j vorhanden), untermischt mit Splachnum sphaericum und ganz wenig Splachnum ampullaceum. Taf. 19.k Um diese nordische Schirmmooslandschaft, für das größere Publikum, noch mehr zur „Landschaft“ zu gestalten, || habe ich aus stark gepresstem Leucobryum glaucum einen See darzustellen versucht, an dessen gegenüberliegendem Ufer Hügel u. Berge, aus Lebermoosen u. einigen Flechten gebildet, sich erheben sollen.

Lieber Herr Professor! Ich möchte Ihnen so gern meine Mooslieblinge, die Splachna, in besserer Entfaltung vorführen, namentlich das exquisit schöne Splachnum rubrum, – u. so habe ich, aus Band II. (von 1865) die Schirmmoostafel herausgenommen u. sie provisorisch || diesem (VI.) Bande eingefügt, – auf dem allerersten Blatt, ohne Nummer! Sie finden, beim Aufschlagen des Bandes, sofort die noch in kleinerem Formate (wie Taf. 11.–14.) gearbeitete Splachnum-Tafel. Diese Schirme spendete mir 1864 der große Wilhelm Philipp Schimper von Strassburg, sie sind also mehr als 5 Jahr älter als die Angström’schen, – u. doch viel besser in der Farbe erhalten! Im frischen Zu-||stande ist die Apophysis von Splachnum luteum citrongelb, die von Splachnum rubrum hat bei völliger Reife die Farbe der schwarzen Gartenmalve (Althaea rosea), in der Jugend aber etwa von Papaver Rhoeas! Ich habe sogar (aus Schweden) ganz jugendliche Schirme von fast rosenrothem Schimmer! –

Die letzte Tafel nun, No 20, soll den Moosfreund etwa an die Riviera versetzen, oder in irgend eine subtropi-||sche Region: Mnium undulatum in männlicher Pflanze von seltener Schönheit u. Höhe der Stämmchen, Farne durch Hypnum Crista-castrensis dargestellt, – diese lichtgrünen, hellgoldgelben Farben im Contrast mit ehrwürdigem Thamnium alopecurum vom dunkelsten Schwarzgrün, – in der Tiefe ein Leucobryum-Sumpf, an dessen Rande die Blätterschopfe des Rhodobryum roseum etwa tropische Blattpflanzen vorstellen dürften. –

Jetzt aber genug!

Freiburg im Breisgau, den 9. Januar 1902.

A. Geheeb.

a eingef.: von Taf. 7; b gestr.: u.; c mit Bleistift eingef.: (9. und 10.) d gestr.: Prin; e gestr.: ge; f eingef.: jetzt; g gestr.: No; h korr. aus: Fruchtklglöcken; i gestr.: Unter; j gestr.: erst; k eingef.: Taf. 19.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
09.01.1902
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 961
ID
961