Bölsche, Wilhelm

Wilhelm Bölsche an Ernst Haeckel, Friedrichshagen, 22. Oktober 1899

Friedrichshagen bei Berlin, Ahorn Allee 22.

22.X.99.

Lieber Herr Professor!

Ich lese in den Zeitungen, daß Sie einen mißlichen Unfall erlitten haben. Hoffentlich ist die Sache beigelegt, wenn diese Zeilen Sie erreichen, – jedenfalls alle guten Wünsche dazu!

Ich habe inzwischen Ihre prächtigen „Welträtsel" mit Freude durchflogen, von ernsthaftem Lesen und Genießen kann ich noch nicht reden, da ich || durch den sehr eiligen Druck eines eigenen dicken Bandes gesammelter naturwissenschaftlicher Essays (Sie finden ihn in Jena vor!) bis in meine letzten Mußestunden hinein in Anspruch genommen war. Ein paar

(noch recht unzulängliche) Aperςus über ihr Buch habe ich in die Wiener „Zeit" gebracht, mit mehr Muße will ich jetzt für die „Deutsche Rundschau" eine wirklich ernsthafte Kritik verfassen. (NB: die längst geschriebene || Kritik über die neue Auflage Ihrer „Natürl. Schöpfungsgeschichte" ist inzwischen endlich in der „Deutschen Rundschau" erschienen!)

Ich bin in diesen Wochen schon sehr eifrig mit Ihrer Biographie beschäftigt gewesen. Sie wird fragmentarisch (vom Dezember an) zuerst in der „Neuen Deutschen Rundschau" (der alten „Freien Bühne") erscheinen. Ich habe, wie ich Ihnen wohl schon schrieb, mehr und mehr den Schwerpunkt auf populäre Darlegung der wissenschaftlichen || und philosophischen Ergebnisse Ihres Lebens gelegt und von den persönlichen Schicksalen nur kleine notwendige „Drücker" entnommen, – wie kann ein Fremder mit noch so viel Liebe in dieses subjektive Gefüge eindringen, ohne teils aufdringlich zu werden, teils doch nur Unsinn zu sagen!!

Immerhin freue ich mich noch sehr auf ein paar Tage engen Zusammenseins in Jena im November, denen ich Stoff für eine kleine, den Schluß || des Ganzen bildende, immerhin nun doch ziemlich intime Skizze noch besonders entnehmen möchte. Würden Sie mir noch einen speziellen Gefallen thun? Ich arbeite im Moment grade an den Anfängen des Darwinismus, Anfang der 60. Jahre. Für ein allgemeines Bild, wie es meine Aufgabe bloß verlangt, habe ich Stoff genug. Aber was mir fehlt, ist eine engere Uebergangsstelle grade von Ihnen aus. Würden Sie einen Moment Muße finden, mir mit drei Worten zu skizzieren, wann zuerst, wo und wie Darwin´s Schrift || in Ihre Hände fiel, – ein ganz kleines Stimmungsbildchen bloß, ein paar Zeilen, aber ganz das Subjektive treffend. Es ist ja so recht der Wendepunkt doch Ihrer ganzen Bahn auf das Größte Ihres Lebens hin. Ich denke sicher, Sie werden das selbst einmal noch eingehend schildern. Mir aber genügte ein ganz kleines Fragmentchen an dieser Stelle, bloß um ihre Größe subjektiv zu stützen, aber eben ein echtes Fragmentchen || von Ihnen selbst. Wollen Sie mir diesen Gefallen thun? Ich wäre Ihnen so sehr dankbar! Hier ist alles wohl und vergnügt.

Mit treuem Gruß

Ihr Wilhelm Bölsche

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
22.10.1899
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9598
ID
9598