Bölsche, Wilhelm

Wilhelm Bölsche an Ernst Haeckel, Friedrichshagen, 12. März 1899

Friedrichshagen b. Berlin, Ahorn Allee 19.

12.III.99.

Lieber Herr Professor!

Ich war ein paar Tage fort und finde heimkehrend als schönsten Gruß Ihre prächtige erste Lieferung der „Kunstformen". Es wird wirklich ein einzigartiges Werk, das nur Sie machen konnten – mit Ihrer Vereinigung von Naturwissen und Kunst. Uebrigens wird es abgesehen von dem ästhetischen Zweck eines unserer glänzendsten Anschauungsmittel für zoologischen Unterricht und Selbstunterricht || werden. Ich habe mich in diesem Sinne ganz besonders über den Dreimark-Preis der Lieferung gefreut, der bei solcher Fülle ein buchhändlerisch ja schier „unmöglicher" ist, aber hoffentlich auch desto energischer mithilft, daß das Buch in die rechten Hände kommt. Sie werden persönlich, glaube ich, mit diesem Werk viel Freude erleben, es wirbt Freunde jenseits aller Parteien. Schließlich wird aber durch die Sache selbst doch Ihre eigenste Denkrichtung ganz in der Stille mit hinausgetragen || und mag sich durch die Wucht der vielen „schönen" Thatsachen in Herzen schmuggeln, die sonst nichts davon wissen wollen! Idee und Ausführung sind gleich vortrefflich. Wie entzückend ist das Diskomedusen-Blatt. Aber schön sind sie alle vom ersten bis zum letzten. Es fängt ein neuer Schöpfungstag für die Aesthetik mit diesen Blättern an. Nun wird es doch wohl nicht mehr möglich sein, daß in der Folge noch dickleibige Aesthetiken den Satz wagen: Das „Naturschöne" sei eigentlich nur ein Mißverständniß. Oder den: daß || das Tierreich ästhetisch nach unten in formlos – gallertige Scheußlichkeit sich verliere. Der Satz schwebt mir so oder ähnlich vor, ich glaube aus der „Aesthetik des Häßlichen" von Rosenkranz. Auf die Quelle kommt ja nichts an. Jedenfalls gibt es keine Stelle, wo unsere offiziellen Aesthetiker bisher hoffnungsloser Schiffbruch erlitten haben, als grade das Naturschöne. Im 2. Bande meines „Liebeslebens", der zum Herbst kommt, habe ich noch einiges zu diesem Punkte gesagt, freilich aphoristisch, – wie dieses || ganze Buch ja nur Fragment ist. Ich denke aber, ich komme im Leben noch dazu, diese aesthetischen Sachen etwas eingehender zu behandeln. Wie leicht ist das jetzt durch Ihr köstliches Quellenbuch, an dem man Figur für Figur bloß zu exemplifizieren braucht!

Ich habe inzwischen viel Freude auch an Ihren früheren Werken gehabt. Zunächst habe ich die „Generelle Morphologie" noch einmal ganz durchgelesen und bin nach wie vor entzückt von ihrem unvergänglichen Reichtum. Sie müssen doch noch eine neue Auflage machen, es geht nicht anders. Dann habe ich – und das zum ersten Mal – || den größten Teil des Textes der Radiolarien-Bände genau durchgenommen. Westermanns „Monatshefte" wünschten grade einen Aufsatz von mir und so habe ich meine Auszüge gleich in eine ziemlich lange Radiolarien-Plauderei verarbeitet, die zum teil nachher in die Biographie übergehen mag.

Sehr wertvoll war mir der Bericht der Stettiner-Naturforscherversammlung mit der alten Rede Virchow‘s.

Ich muß aber doch, wenn wir uns in Jena etwa im Mai wiedersehen, || mit einer ganzen Reihe von Detailfragen über alles mögliche mich melden. Es ist mir so sehr darum zu thun, daß das Buch ein echtes Bild liefere.

Rodenberg von der „Deutschen Rundschau" schrieb mir, daß er nach Erscheinen einiger Lieferungen der „Kunstformen" einen eingehenden Bericht von mir über das Werk wünschte. Haben Sie die Darwin-Nummer des „19. Jahrhunderts in Bildnissen" erhalten? Wenn nicht, werde ich gleich veranlassen, daß sie Ihnen zugehe.

Ihr Pathchen erfreut || sich des „dicksten" Wohlseins und nimmt in der besten und normalsten Weise zu.

Das eine der Exemplare von Lieferung 1. habe ich an Julius Hart weitergegeben. Haben Sie sein philosophisches Capriccio „Der neue Gott" von ihm erhalten? Es ist viel packendes und individuell bedeutendes darin, natürlich nicht alles, – der Poet geht lustig durch. Aber er ist doch ein prächtiger Kerl!

Mit herzlichstem Gruß (auch an das schöne Italien!)

Ihr W. Bölsche

Herzlichste Grüße Ihnen und unbekannter Weise Ihrer Frau Gemahlin. Johanna Bölschea

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Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.03.1899
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9590
ID
9590