Bölsche, Wilhelm; Bölsche, Johanna

Wilhelm und Johanna Bölsche an Ernst Haeckel, Friedrichshagen, 10. Oktober 1898

Friedrichshagen bei Berlin,

Ahorn Allee 19.

10.X.98.

Hochverehrter Herr Professor!

Den ganzen Sommer habe ich fort und fort geplant, Sie in Jena zu besuchen. Aber es sollte diesmal nicht werden. Durch mancherlei Arbeit an´s Haus gefesselt, bin ich schließlich überhaupt zu keiner Sommer- oder Herbstreise mehr gekommen, weder in´s Seebad noch in die Berge. Zum Glück geht hier bei mir zu Hause alles recht wohl. Ihr kleines Pathchen schaut frech und vergnügt aus (nunmehr endgültig) blauen Augen in die Welt. || Ich lege eine kleine Skizze bei, die aber doch, glaube ich, arge Karrikatur ist! Werden Sie das kleine Ungetümchen diesen Monat noch einmal persönlich begutachten? Wir hoffen noch immer sehr darauf!

Ich habe in diesen Wochen ein neues kleines Buch vom Stapel gelassen, zwanglose und durchweg etwas künstlerisch behandelte Plaudereien über die Liebe in der Natur. Im Moment warte ich auf die ersten gebundenen Exemplare, ich sende dann sofort eins. Es ist aber ein Büchlein, das überall etwas cum grano salis beurteilt sein will, – ganz strengen Maßstab verträgt es nicht. Immerhin || glaube ich, daß es Vielen, die von diesen Dingen gar nichts wissen, auch einige realen Thatsachen anschaulich machen kann. Für mich liegt, abgesehen von ein paar eigenen Gedanken hier und da, das Hauptgewicht auf der Form. Ich habe einmal versucht, die denkbar leichteste Form der Darstellung zugleich mit möglichst viel ästhetischen Mitteln versucht zu geben. Nun wird mancher freilich die Form zu leicht finden. Ich meine aber, es kann nach dieser Seite gar nicht genug experimentiert werden und jeder Versuch lohnt sich, auch wenn er selber die || Sache noch nicht löst, sondern nur einmal wieder etwas Kühnheit nach neuer Seite bewährt. Ich schicke eine Selbstanzeige aus der „Zukunft" mit.

Aus dem freundlichst übersandten Zeitungsberichte sehe ich, daß Sie schöne Geistestage in England erlebt haben. Haben Sie die merkwürdige Rede Virchows gelesen?

Mit allen guten Wünschen und in der Hoffnung, daß wir Sie diesen Monat noch persönlich sehen

Herzlichst Ihr Wilhelm Bölsche und Frau Johanna.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
10.10.1898
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9585
ID
9585