Zürich-Enge. Seewartstraße 12I
Hochverehrter Herr Professor!
Verzeihen Sie, daß ich so spät Ihnen erst meinen Dank sende für Ihre freundlich teilnehmenden Zeilen und das prächtige Buch. In einer Zeit außerordentlicher Gemütsöde – im kahlen Hotelzimmer in einer fremden Stadt – ist Ihre Reiseschilderung mir wirklich ein Lichtblick gewesen. So gut ich sie von früher kannte, hat sie mir doch grade im Moment wieder den nachhaltigsten Eindruck gemacht. Vielen Dank dafür!
Inzwischen ist es hier um || mich her, äußerlich wenigstens, etwas gemütlicher geworden, – meine Bücher, Blumen und entomologischen Sammlungen sind mir glücklich nachgekommen, und die dringliche Arbeit an dem Abschluß der „Entwickelungsgeschichte" hat mich gleich wieder ganz in Anspruch genommen. Ich fasse dieses Buch, abgesehen von seinem volkstümlichen Zweck, für mich persönlich nur als eine kleine Vorstudie (mit allen Mängeln einer solchen!), als wirkliches Arbeitsfeld der nächsten Jahre denke ich mir aber eine (rein naturwissenschaftlich, doch mit Verständniß für die Praxis des künstlerischen Schaffens aufgebaute) Aesthetik. Ich plane daran schon lange. Was ich vor Jahren einmal als Aperςu entwarf, ist mir jetzt aber alles ganz unreif und wertlos. Es handelt sich da eben um etwas, || was man entweder nur als fundamentale Lebensaufgabe oder gar nicht sich setzen sollte. In der letzten Zeit, die mich ernster über meine Möglichkeiten hat nachdenken lassen, ist mir das Projekt aber jetzt sehr fest und klar geworden. Vielleicht wird es einmal ein Buch, das auch Ihnen Freude macht.
Mit herzlichsten Grüßen
Ihr treu ergebener
Wilhelm Bölsche