Zürich-Oberstraß. Pension Bellevue.
18. 10. 1893
Hochverehrter Herr Professor!
Zu meinem herzlichen Bedauern ist es nun doch ganz unmöglich geworden, daß wir in Berlin zusammentrafen. Ich bin nach meiner Gebirgstour zu Dr. Hauptmannn sogleich hierher abgereist, wo ich vorläufig zu bleiben gedenke. Seit meinem Briefe, in dem ich Sie bat, uns doch in Friedrichshagen die Freude Ihres Besuches zu machen, hat sich in meinem engsten Lebenskreise eine bittere Wandlung vollzogen, die mich auch bestimmt hat, meinen Wohnort zu wechseln. || Eine Leidenschaft, die sich zwischen meiner Frau und einem meiner besten und vortrefflichsten Freunde angesponnen, hat zu einer zwar friedlichen, aber für mich verzweifelt schmerzlichen Trennung geführt. Ich stehe im Augenblick wie vor einem abgebrannten Hause.
Ich weiß nicht, ob Sie die Correktur der Hamannbriefe erhalten haben, – jedenfalls verzeihen Sie, wenn die Einleitung, die ich im verzweifeltsten Moment nur so hinwarf, matt ausgefallen ist. Meine redaktionelle Thätigkeit bei der „Freien Bühne" lege ich mit dem 1. Dezember nieder, ich hoffe mich hier möglichst auf meine eigentliche Lieblingsgebiete (zu denen redaktionelle Geschäftsführung nicht gehört!) be-||schränken zu können. Einen längeren Aufenthalt in Zürich hatte ich stets geplant, allerdings unter schöneren Voraussetzungen!
Mit herzlichsten Grüßen
Ihr W. Bölsche