Paul von Ritter an Ernst Haeckel, o. O., 12. November 1892

„Anschauungen ohne Begriffe sind blind, Begriffe ohne Anschauungen sind leer.“

Kant

Das Iguanodon Bernissartensis, die Rieseneidechse, ein Pflanzenfräser von 16 m Länge aus der geologischen Periode der Kreideformation unseres Planeten, ein teromorphes Reptil ausgezeichnet durch die gedehnte charakteristische Form seines Körpers, durch seinen kleinen vogelartigen Schädel mit einem hornartigen Fortsatze auf dem Stirnbein, durch sein aus großen Molaren bestehendes Gebiss, durch seinen Episternalapparat || durch seinen knochigen Beckengürtel mit stark ausgebildeten Kreuz- und Stirnbeinwirbeln, welche sich in einen langen Schwanz verlaufen und mit zwei nach vorwärts gerichteten ventralen Beckenknochen, durch seine kurzen fünfzehigen Vorderfüsse im Vergleiche zu seinen langen fleischigen fünfzehigen hinter Füßen so wie durch seine schuppige auf der Rückenlinie des Körpers panzerartig verlaufende Hautbedeckung, deren Farbe wahrscheinlich dem Schlamme aus Sümpfen der Wälder entsprach, in welchen dieses merkwürdige Reptil gelebt hatte, concepirt, in seiner muthmaßlichen Lebeform, vor dem Erscheinen der Brüsseler Museums-Kataloge von P. v. Re. und gezeichnet || von H. stud. Herzog unter spezieller Anleitung des Verfassers nach einem im Königl. Belgischen Naturhistorischen Museum zu Brüssel aufgestellten Skelette, gefunden in einer Tiefe von 360 m in den Kohlenschaeten von Bernissart der belgischen Provinz Hennegau an der Stelle, wo die vulkanische Eruption des unterseeischen Kreidemeeres zum Durchbruch kam,

widmet

diese, zur Anschauung gebrachte, vielleicht unvollkommene bildliche Darstellung Herrn Professor Dr. E. Haeckel zur Erinnerung an den am 15n Juli 1892 in der || medizinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft in Jena gehaltenen Vortrag über teromorphe Reptilien,

in hoher und aufrichtiger Verehrung,

Paul Ritter

Die im Königl. Belgischen naturhistorischen Museum zu Brüssel aufbewahrten Pflanzenabdrücke der Wälder, wo dieses Reptil lebte sowie die daselbst gefundenen Coprolithen, von der Größe eines Hühnereis, sind folgende:

Sphenpteris Roemeri, Confervites fissus Dunker, Equisetites Phillips Dunker, Thrisseps intermediius Münster, Oxygonius Tenuis L. Agassiz, Pecopteris althausi Dunker, Pecopteris polymorphe Dunker, Alethopteris elegans Goeppert, Cyclopteris Mantelli Dunker und Pterophyllum Schaumburgense.“ –

Brief Metadaten

ID
9329
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
o.O.
Datierung
12.11.1892
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,6 x 20,8 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9329
Zitiervorlage
Ritter, Paul von an Haeckel, Ernst; o.O.; 12.11.1892; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_9329