Paul von Ritter an Ernst Haeckel, Frankfurt am Main, 4. Januar 1890
Frankfurt/Main.
Hôtel z. Schwan
4r Janur 90
Hochgeehrter Herr Professor,
Mit warmen Danke habe ich Ihr und Ihrer lieben Frau Gemahlin herzliche Glückwünsche zum neuen Jahre 1890 empfangen und, indem ich dieselben auf’s Innigste erwidere, wünsche ich von Herzen, daß das neue Jahr, dessen dunkle Pforten sich geöffnet haben, auch Ihnen|| und Ihrem Hause in vollem Maße Gesundheit, Glück und Zufriedenheit bringen möchte. –
Mit wahrem geistigen Heißhunger habe ich Ihre herrliche Kunde vernommen, daß sie die Idee eine zoologische Excursion nach Australiena auszurichten nicht aufgegeben und dieselbe sogar persönlich anführen wollen. – Dieser rosige Hoffnungsschimmer| berechtigt zu den schönsten Erwartungen, weil Ernst Haeckel und Ferdinand Gregorovius die wahren und einzigen Repraesentanten Deutschlands geistiger Welt augenblicklich sind. –
Sobald Sie sich entschließen sollten nach Australien zu gehen, so bitte ich um die hohe Ehre mich dieser Expedition anschließen zu dürfen. –
Sobald Sie die jungen Gelehrten dort, für einige Jahre, werden passend installirt haben, so können wir nach Europa zurückkehren. –|| Ende Februar 1890 bin ich noch in Frankfurt/Main Hôtel z. Schwan No. 61 zu sprechen. – Fräulein Kucera, welche heute 19 Jahre in meinem Hause, als treue und fleißige Verwalterin abwirbelt, fühlt sich durch Ihre gütige Neujahrswünsche beehrt und dankt mit der Bitte auch Ihre aufrichtigen Glückwünsche für Sie und Ihr Haus entgegenzunehmen. –
Aus meiner natur-bphilosophischen Praxis, in Antwort auf das mir zugeschickte Werk des Herrn Hugo de Vries „Intracellulare Pangenesis“ erlaube ich mir, auch meine Gedanken mitzutheilen: „Das Leben ist, nach meiner Ansicht, nichts Anderes als ein unausgesetzter Ausgleichungprozess der Spannung entgegengesetzter, zum größeren Theile schon bekannter Collektivkräfte. (Lebens- und Verwandtschaftskraft) welche, wenn richtig erkannt, dem intelligenten Willen des Menschen, unter Umständen, gehorchen können, denn der|| geistige Mensch, sagt Justus Liebig, ist nicht das Product seiner Sinne, sondern die Leistungen der Sinne sind das Product des intelligenten Willens im Menschen! –Mit freundlichen Grüßen, –hochachtungsvoll
Paul Ritterc
a eingef.: nach Australien b eingef.: natur- c Schlußworte („geistige […] Ritter“) vertikal auf S. 1 nachgetragen.