Paul von Ritter an Ernst Haeckel, Basel, 29. November 1889

Basel

Schärtlingasse 8

29r Novemb. 89

Hochgeehrter Herr Professor,

Mit den mir durch Ihre liebenswürdige Freundschaft übermittelten neuen diversen Werken auf dem Gebiete der modernen naturwissenschaftlichen Forschung haben Sie mir eine wahre und unerwartete Freude bereitet denn neben den vielen Schmäh-, Schimpf- und Bettelschriften, welche ich seit der zum|| Wohl der Menschheit gemachten phylogenetischen Stiftung erhalte, sind diese Ihre herrlichen literarischen und wissenschaftlichen Werke die einzigen und wahren Tröster. – Was Sie und der hochgeehrte Curator für die Stiftung gethan und noch zu thun beabsichtigen ist im höchsten Grade anerkennungswürdig, aber nicht ganz in meinem Sinne zum Austrag gebracht worden, da ich das von Ihnen gefeierte Jubiläum Ihrer schönen Lehrtätigkeit mit einer naturwissenschaftlichen Reise nach Australien|| u. den Südseeinseln in Begleitung Ihrer besten und talentvollsten Schüler abzuschließen gedachte, um dort die letzten im Erlöschen begriffenen Representanten der vorweltlichen Fauna in ihrer gesamten Lebensweise zu beobachten und zu studiren. –

Außer Ihren schätzenswerthen Werken erhalte ich auch aus dem Auslande naturwissenschaftliche Aufsätze zugeschickt. Auch die Schweiz hat angefangen mich damit zu honoriren mit Ausnahme Ihres hochgeschätzten Famulus, welcher sich wie ein von Größenwahn geplagter|| Gelehrter aus Jena a fortgeschlichen ohne mir seinen letzten Discours über Lamark u. Darwin zugeschickt zu haben. An Herrn Dodel-Port wird er gewiß einen ebenbürtigen Gegner in Zürich finden. Jetzt wird er Gelegenheit haben bei elektrischer Beleuchtung seinen erstaunten Zuhörern das von seinem Basler Kollegen von Professor Virchow in München verlangte Zwischenglied von Menschen u. Affen vorführen u. beweisen zu können, daß der Mensch ein ausgerupftes Federvieh und unter Umständen auch ein zweibeiniger Esel sein kann. – Hoffentlich wird der neue Inhaber der Ritter-Professur in solche taktlose Fehler nicht verfallen, aber die Schweizer tragen|| häufig in ihrem Wappen mit der Krone der Curtoise die Mistgabel der Ungezogenheit im Schilde. –

Über die Cetaceen haben belgische Naturforscher geschrieben, deren Schriften ich gleichfalls gelesen habe. –

Mit herzlichen und dankbaren Grüßen zeichne, hochachtungsvoll

Paul Ritter

NS. Ich bin wie Herklit nur ein Laie, aber ein Laie mit Verständniß. – Auch nicht eitel!b||

Mit dem großen Challenger-Werke haben Sie sich einen unsterblichen Namen gemacht aber freilich nur für England. –c

a gestr.: sich b Letzte Sätze (häufig […] eitel!) auf S. 1 vertikal nachgetragen. c letzter Satz an den Rändern von S. 4 nachgetragen.

Brief Metadaten

ID
9292
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Schweiz
Datierung
29.11.1889
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,5 x 21,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9292
Zitiervorlage
Ritter, Paul von an Haeckel, Ernst; Basel; 29.11.1889; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_9292