Ritter, Paul von

Paul von Ritter an Ernst Haeckel, Wiesbaden, 1. Januar 1889

Wiesbaden

32 Langgasse 32

1ter Januar 1889

Hochgeehrter Herr Professor,

Empfangen Sie meinen besten Dank für Ihren freundlichen Brief v. 28n Dec 88, welcher über Basel kommend, mir noch am 31n December 88 hier durch die Post behändigt werden konnte. – Ihre freundlichen Glückwünsche erwiedere ich mit dem aufrichtigen Wunsch, daß die Zellenbürger Ihres Körpers sich anständig und gehorsam aufführen und Ihnen im neuen Jahre keinen Kummer bereiten möchten. –||

Erfreulich berührte mich die Mittheilung über neue von den Herren Walter und Kuekenthal unter Ihrer persönlichen Leitung auszuführende Excursion nach Spitzbergen und wünsche ich, daß die Herren mit reicher phylogenetischer Beute beladen glücklich nach Jena zurückkehren möchten. – Daß Sie das Studium der Siphonophoren in Mittelmeere fortsetzen ist für Jeden begreiflich, welcher Ihre Arbeiten aus den 69 und 70 Jahren „über das Leben in den größten Meerestiefen“ und die Arbeitstheilung ain der Natur u. den Menschen gelesen und begriffen hat und welche durch den frischen und kräftigen Geist der Conception, bwelcher in denselben weht, manches Räthsel in der Natur zu lösen im Stande || sind. – Die Menschen fordern Beweise, deren der göttliche Geist, welcher den Menschen beherrscht, keiner bedarf. – Das intuitive Erkennen ist wohl der höchste Beweis unserer göttlichen Daseinsform, welches keinen terminus ignorantiae der wissenschaftlichen Unkenntniß kennt und vom Philosophen Socrates dem unwissenschaftlichen Heraclit öffentlich zuerkannt wurde. –

Die Entwickelungslehre ist eine geistige Macht, welche der Theologie und Philosophie schon viele Verstandesgebiete abgerungen hat. Das „ins Innere der Natur dringt kein erschaffener Geist“ und „das gewagte Abenteuer der Vernunft“ liegen vergilbt im Archive der menschlichen Ohnmacht und wie || oft sind diese einstens „goldenen Worte“ mit harten Fußtritten cin der Gegenwart behandelt worden. – Die Gegenwart lebt von der Vergangenheit, aber wem das Loos beschieden sein wird den goldenen Apfel von dem Baume der Erkenntniß durch dLösung der Frage: ob die anorganischen Elemente, aus welchen die Organismen bestehen, die sich später entwickelnde Psyche fschon in Vorbereitung enthalten? zu pflücken – liegt im Schooße künftiger Zeiten und schmeicheln wir uns der Hoffnung, daß dieses auf dem fruchtbaren Boden des erkenntnißreichen Thüringen geschehen wird. –

Ich werde mich freuen Sie in Wiesbaden begrüßen zu dürfen, wo sie im Adler mein Gast sein sollen. – Bitte Ihrer Frau Gemahlin mit eingeschlosser Gratulationskarte meine besten Glückwünsche z. n. Jahre zu übermitteln, sowie die Freunde in Jena, welche sich meiner fnoch erinnern, zu grüßen und zu sagen daß ich kein Idealist, sondern nur ein strenger monistischer Realist bin. Mit freundlichen Grüßen. –

Hochachtungsvoll und ergebenst, –

Paul Ritter

a eingef.: in der Natur u. den Menschen; b eingef.: welcher in denselben weht,; c eingef.: in der Gegenwart; d gestr.: die e eingef.: schon; f eingef.: noch

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
01.01.1889
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9283
ID
9283